Wettbewerbsfaktor Zeit

Bei der Einführung von Realtime Enterprise muss der Geschäftsprozess im Mittelpunkt stehen. Die Zeit ist nach Einschätzung von Analysten in der globalen Wirtschaft zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor neben Qualität und Preis geworden.

Die Gartner Group postuliert, dass sich nur die Unternehmen durchsetzen werden, die sich zu einem Realtime Enterprise (RTE) entwickeln. Unter RTE versteht Gartner eine Organisation, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert, weil den Mitarbeitern jederzeit aktuelle Informationen zur Verfügung stehen und Verzögerungen im Management und der Ausführung kritischer Geschäftsprozesse vermieden werden. Für die Information Management Group (IMG) liegt der Schlüssel zum Realtime Enterprise in der Integration. Die größte Herausforderung ist dabei die Beziehung zwischen dem so genannten Point-of-Creation (POC), dem Ort, an dem eine Information entsteht, und dem Point-of-Action (POA), an dem aufgrund oder mithilfe dieser Information gehandelt wird. Nur wenn die Systeme zwischen POC und POA gut integriert sind, können die Informationen schnell, idealerweise also in Echtzeit, fließen. Dies macht es nach Ansicht der Analysten mitunter erforderlich, gewachsene Routineverfahren zum Datenaustausch nicht mehr als nächtlichen Batch-Lauf zu betreiben, sondern durch prozessorientierte Middleware abzulösen.

Aus der Sicht eines Integrationsanbieters wie Sterling Commerce stellt sich die Entwicklung zum Realtime Enterprise noch etwas anders dar. Der Geschäftsprozess muss im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die höchstmögliche Integration und Automatisierung allein macht noch kein Echtzeit-Unternehmen. Erst wenn die Prozesse auch beschleunigt werden, kann von realtime gesprochen werden.

Echtzeit ist kein Selbstzweck

Dabei sollte der Begriff „Realtime-Enterprise“ eher als Vision denn als tatsächlicher Zustand eines Unternehmens betrachtet werden. Dafür sprechen zwei Gründe: Erstens lässt sich kaum ein Prozess tatsächlich in Echtzeit umsetzen, wenn es sich nicht um eine reine Transaktion beziehungsweise die Anzeige von Informationen handelt. Überall dort, wo in einem Geschäftsprozess mehrere Aktivitäten umgesetzt werden, bevor ein verwertbares Ergebnis entsteht, geht allein durch die Verarbeitung der Daten Zeit verloren. Daher wird anstelle von Realtime auch der Begriff Near-Time verwendet, um die schnellstmögliche Ausführung eines Prozesses zu beschreiben.

Zweitens ist die Echtzeit nicht für alle Szenarien eine sinnvolle Zielsetzung.
Ein Unternehmen muss aus wirtschaftlicher und technischer Perspektive abwägen, was erreicht werden soll. RTE-Projekte sind technisch komplex.

Es muss eine permanente, 100-prozentige Verfügbarkeit aller involvierten Ressourcen der Hard- und Software-Infrastruktur sichergestellt werden. Das ist kostenintensiv sowohl in der Implementierung als auch in der Wartung.

RTE als reinen Selbstzweck einzuführen, ist also definitiv zu teuer. Die reine Automatisierung von Prozessen kann nach wie vor auch durch die Digitalisierung des Informationstransfers erreicht werden. Häufig stellt sich schon ein großer Nutzen ein, wenn Geschäftsdokumente und -daten im Batch-Betrieb automatisiert und transformiert von einer sendenden zu einer verarbeitenden Anwendung übertragen werden, ohne dass eine manuelle Handlung erfolgen muss.

Genaue Analyse der Prozesse erforderlich

Unternehmen sollten ihre Geschäftsprozesse einer genauen Analyse unterziehen, bevor sie sich für die Umstellung auf Echtzeit entscheiden. Die folgenden Fragen können dabei helfen: Welche Auswirkungen haben die Automatisierung und die Beschleunigung eines Prozesses auf sein Ergebnis und seine Kosten? Kann der Prozess quantitativ oder qualitativ verbessert werden, wird beispielsweise eine höhere Produktivität oder eine größere Genauigkeit erzielt? Welchen Einfluss hat das Ergebnis auf den Empfänger dieses Ergebnisses? Kann ein direkter oder indirekter positiver Einfluss auf die wichtigsten Unternehmenskennzahlen – beispielsweise Bilanz, Gewinn, Cashflow, Lieferzuverlässigkeit – erzielt werden?

Einem Vermögensberater beispielsweise hilft es bei der Umsatzmaximierung, wenn er während eines Beratungsgespräches alle relevanten Informationen zum Kunden in Echtzeit zur Verfügung hat, um damit sein Beratungsgespräch zu gestalten. Die letzten Investmenttätigkeiten können mit den aktuellen Ergebnissen (beispielsweise Börsenständen) und dem aktuellen Kontostand zu einem Adhoc-Potenzial verbunden werden.

Einem Disponenten in der Konsumgüterindustrie dagegen hilft es nicht, wenn er die Abverkaufszahlen und Bedarfsmeldungen seiner Kunden permanent in Echtzeit zur Verfügung hat und so seine Planungsläufe häufiger durchführen könnte. Da es sich bei den für die Disposition notwendigen Informationen größtenteils um Massendaten handelt, ist es viel effektiver, zu einem bestimmten Zeitpunkt (meistens nach Ladenschluss) alle Informationen wie Abverkäufe, Bedarfsmeldungen, Lagerbestände und Waren im Transport per Batch Processing zu den verarbeitenden Systemen zu übertragen. Zu Beginn des neuen Arbeitstages nutzt der Disponent die verarbeiteten Ergebnisse dann für seine Planungsläufe. Weil der Transfer von Massendaten in Teilstrecken eines Prozesses gemessen an der Kosten-Nutzen-Relation viel Wert beisteuert, bleibt das Batch Processing ein wichtiges Element im Datenaustausch.

Strategischer Ansatz Business Process Management

Als strategischer Ansatz für die Integration und die Entscheidung, wann Echtzeit- und wann Batch-Processing für einen Prozess sinnvoll ist, eignet sich das Business Process Management (BPM), weil der Geschäftsprozess dabei im Kern der Betrachtung steht. BPM gibt Unternehmen eine durchgängige Kontrolle und Übersicht über ihre internen und externen Geschäftsprozesse. Mit BPM entwerfen, analysieren, optimieren und automatisieren sie Prozesse, schaffen also auch die Voraussetzung, einen Geschäftsprozess bei Bedarf in Echtzeit umzusetzen. Dies ist möglich, weil BPM die Prozesslogik von den Anwendungen trennt, die sie ausführen. Es stellt also eine Ebene über den zahlreichen Anwendungen dar, aus denen die IT-Infrastruktur eines Unternehmens besteht. Zudem geben BPM-Umgebungen dem Anwender die Kontrolle, sodass ein Prozess bei Ausnahmesituationen menschliche Interaktion mit einbeziehen kann. BPM erkennt die Ausnahmen und stellt einen Mechanismus bereit, um sie zu übermitteln und gleichzeitig mit dem Standardprozess fortzufahren. Wenn sich Prozesse ändern oder modifiziert werden müssen, ermöglicht BPM dem Anwender, manuell einzugreifen. Änderungen werden so sehr einfach umgesetzt. Darüber hinaus verwaltet BPM die Beziehungen zwischen Prozessteilnehmern, integriert interne und externe Prozessressourcen und überwacht die Prozessperformance.

Andere Ansätze

Es gibt noch andere Ansätze, die aus Sicht von Sterling Commerce aber Schwächen haben, da hierbei nicht der Geschäftsprozess im Mittelpunkt steht. Zwei seien dennoch kurz erwähnt: Eine Service Oriented Architecture (SOA) ist eher als technische Grundlage zum Aufbau einer flexiblen, auf Prozesse ausgerichteten Infrastruktur zu verstehen. Die Anwendungen liefern die Funktionalitäten, die für die effektive Realisierung der Geschäftsprozesse notwendig sind. Services sollen plattformunabhängig, lose miteinander gekoppelt und auf der Ebene der technischen Prozesse modelliert sein. Da auf einer SOA alle möglichen Dienste aufgesetzt werden können, besteht allerdings das Risiko, dass darunter auch nicht geschäftskritische sind. SOAs machen in Unternehmen Sinn, wo aufgrund der Marktanforderungen existierende Funktionalitäten mit neuen flexibel orchestriert werden müssen.

Im Gegenzug verfolgen Enterprise-Resource-Planning-Lösungen (ERP) die Zielsetzung, Geschäftprozesse über eine zentrale Einheit zu optimieren und damit Kosten zu reduzieren. Dieser Ansatz ist effektiv, wenn die Unternehmensanwendungen und -anforderungen sich nicht oder nur selten ändern. Aufgrund der zunehmend geforderten Individualisierung und Umsetzungsgeschwindigkeit in der Kooperation mit Kunden stoßen klassische ERP-Lösungen allerdings an ihre Grenzen.

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