Im Internet gibt es keine Loyalität

 Hören Sie nicht auf die Stimmen, wenn Ihnen Anbieter von CRM-Lösungen vollmundig dauerhafte Kundenbindungen versprechen. Denn gerade im Internet wollen sich Kunden so gar nicht recht binden lassen. Lediglich ernstere Bemühungen um ihr Wohl belohnen sie möglicherweise mit etwas größerer „Treue“.

Gerade in Bezug auf die vielbeschworene Kunden-Loyalität kursieren im Internet eine ganze Reihe widersprüchlicher aber populärer Irrtümer. Der nachstehende Artikel beschäftigt sich mit zweien von ihnen:

Im Internet gibt es keine Loyalität
Irrtum. Natürlich müsste es eigentlich im eCommerce ungleich schwieriger sein, eine echte Kundenbindung aufzubauen. Der nächste Anbieter ist nur einen Mausklick weit entfernt (…. und damit im Regelfall deutlich näher als der Warenkorb ;-)), und die weltweite Verfügbarkeit von Daten rund um die Uhr gestattet Preis- und Leistungsvergleiche in Sekundenschnelle. Hinzu kommt, dass eine der wichtigsten Bindungsmöglichkeiten der klassischen Unternehmen – der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen Mitarbeitern und Kunden nämlich – im Internet schon rein technisch gesehen schwieriger, wenn nicht gar unmöglich ist. Auch der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern stellt eine Hürde dar – da sich zu viele Unternehmen um zu wenige Fachkräfte streiten, herrscht in beinahe allen Unternehmen trotz Stock-Options eine schier unglaublich hohe Mitarbeiterfluktuation.

Das eigentliche Problem ist jedoch ein anderes: das kurzfristige Denken. Die meisten im eCommerce tätigen Unternehmen halten ausschließlich ihren Marktanteil für die wichtigste betriebswirtschaftliche Kennzahl an. Die horrenden Verluste, die so generiert werden, werden scheinbar ohnmächtig hingenommen, solange die spekulativen Aussichten groß genug sind. So kommt es, dass beinahe gedankenlos in die Gewinnung neuer Kunden investiert wird und die Kosten je gewonnenem Kunden geradezu explosionsartig wachsen und in kaum einem vernünftigen Verhältnis zum Umsatz oder gar Ertrag stehen. Umsatzverdopplung bei einer gleichzeitigen Vervierfachung der Verluste scheint im eCommerce gang und gäbe zu sein.

Doch nur weil sich kaum ein Unternehmen ernsthaft darum zu bemühen scheint, die richtigen Kunden zu selektieren und zu halten, heißt das noch lange nicht, dass es im Internet keine Kundenloyalität gibt. Einer Untersuchung zufolge zählen etwa 19 % der Online-Shopper zu den so genannten »Brand Loyalists«. Diese Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer wieder bei dem Lieferanten einkaufen, von dem sie zum ersten Mal zufriedenstellend bedient wurden. Sie sind wenig preissensibel und zeichnen sich durch keine allzu hohe Wechselbereitschaft aus. Gerade die technischen Möglichkeiten des Internets und die Konzentration nahezu aller Marktteilnehmer auf Kundengewinnung eröffnen cleveren Unternehmen große Möglichkeiten zur Kundenbindung und zur überragenden Wertschaffung.

Beispiel Amazon.com: Durch Affiliate-Programme, schnelle und kostenfreie Lieferung und ein sehr großes Sortiment, verknüpft mit den technischen Finessen der personalisierten Einkaufsvorschlagliste und der extrem zeitsparenden One-Click-Bestellung (nach dem Erstkauf »erkennt« das System einen wiederkehrenden Kunden, begrüßt ihn persönlich und lässt ihn jeden Artikel mit einem einzigen Mausklick, ohne jegliche weitere Tätigkeit oder Dateneingabe, bestellen) schafft es das Unternehmen, überragenden Wert zu liefern. Mit Erfolg: Amazon.com hat die größte Konversionsrate (Besucher zu Käufern) aller im eCommerce aktiven Unternehmen (Quelle: ICONOCAST). Auch wenn ich (Gott sei Dank!) kein Rechtsanwalt bin und in diesem Buch keine Rechtsberatung leisten darf, muss ich doch an dieser Stelle auf eines hinweisen: Das Sammeln und Auswerten personenbezogener Daten ist in Deutschland nach dem Datenschutzgesetz (BDSG) grundsätzlich verboten, es sei denn, der Kunde stimmt diesem Vorgehen ausdrücklich zu.

Die Voraussetzungen für Kundenbindung und Kundenbindungssysteme sind im eCommerce nahezu optimal. Was im stationären Handel zum Beispiel nur über Umwege erreichbar ist, nämlich die Identifikation der Kunden und das Sammeln ihrer Daten und Einkaufspräferenzen sowie das Verfolgen ihrer Handlungsmuster, geschieht im Internet automatisch. Richtig angewendet, können diese Daten ein sehr wertvoller Verbündeter im Kampf um die ersten Plätze im eCommerce sein. Auch sind die extrem kostengünstigen Möglichkeiten, mit den Kunden in einen intensiven Dialog via eMail zu treten, ein extrem großer Vorteil gegenüber stationären Handelskonzepten.

Für viele eCommerce-Unternehmen wird es von entscheidender Wichtigkeit sein, jetzt in Kundenbindung und Loyalität zu investieren. Natürlich ist es eine Doppelbelastung, zeitgleich den Marktanteil im Verteilungskampf zu erhöhen und die bestehenden Kunden bei der Stange zu halten – doch gerade der rechtzeitige Aufbau intensiver und langfristiger Kundenbeziehungen kann und wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden. Das lässt sich am einfachsten mit dem so genannten »Eimer-Exempel« illustrieren: Stellen Sie sich Ihr Unternehmen als Eimer vor. Als einen Eimer, der ein Loch hat und aus dem permanent Kundenströme hinausfließen. Gleichzeitig sorgen Sie für neue Kunden, gießen also von oben nach. Es ist ganz klar: Je kleiner das Loch im Eimer desto größer der absolute Zuwachs an Kunden und damit auch das Marktanteilswachstum.

Leider scheint es jedoch so zu sein, dass diese einfache Grundrechnung nicht wirklich fruchtet. Immer wieder sitze ich abends staunend vor dem Fernseher und darf miterleben, wie Millionenbeträge mit in unsinniger Mediawerbung verschwendet werden. Da laufen 90- und 120-Sekunden-Spots mit teuren Prominenten-Testimonials, aufgenommen und in Szene gesetzt von den angesagtesten Regisseuren, mit unglaublichem Aufwand inszeniert – und das vollkommen unabhängig davon, ob das dahinter stehende Produkt überhaupt fertig oder gar ausgereift ist. Vielleicht bin ich einfach zu konservativ, aber bis zum großen Boom der Dotcom-Werbung habe ich das AIDA (Attention, Interest, Desire, Action) immer für sehr erfolgreich gehalten. Nun ja, die Internet-Firmen werden vielleicht ihre Gründe haben, sich allein auf das erste A zu konzentrieren, ob sie damit Erfolg haben werden, wage ich jedoch zu bezweifeln.

Von den strategischen Grundlagen her funktioniert Kundenbindung im Internet (oder konkreter: im World Wide Web) genau so wie in der realen Welt. Der Aufbau von
– hoher Kundenzufriedenheit
– echten Begeisterungsfaktoren und
– einer persönlichen Beziehung zwischen Anbieter und Kunde
führen zu einer starken Loyalität gegenüber der Online-Marke. Natürlich kommen zum Teil andere Instrumente zum Einsatz und sind gewisse Rahmenbedingungen schlichtweg ungünstiger als in der Offline-Welt. Doch können diese Nachteile durchaus kompensiert werden, wie erfolgreiche Dotcoms beweisen.

Loyalität bedeutet CRM (Customer Relationship Management)
Irrtum. Ortstermin CeBIT 2000 in Hannover: 141 Anbieter schreiben sich CRM auf die Fahnen und den Stand. Einhunderteinundvierzig? Nachdem es 1999 gerade einmal 17 Anbieter waren? Hm. Wenn da mal nicht wieder der Hype der Vater des Angebotes ist. Und richtig: Ein Großteil der so genannten »CRM-Lösungen« ist entweder nur eine aufgebohrte Adressdatenbank, ein reines Kampagnen-Management-System oder ein Analysetool. Verwunderlich nur, dass Microsoft seine Office Produktfamilie nicht auch als CRM-Lösung vermarktet – denn schließlich kann man damit auch Serienbriefe schreiben (Word), Kundendaten verwalten (Access), Statistiken auswerten (Excel), Termine verwalten und eMails schreiben (Outlook) und sogar bunte Bildchen erzeugen (PowerPoint).

Es ist ein nicht zu leugnendes Problem: Zu viele Anbieter versuchen am CRM-Hype zu partizipieren und verwässern so eine klare Umschreibung dessen, was Customer Relationship Management eigentlich bedeutet und bedeuten könnte. Im Sommer 2000 hat der Deutsche Direktmarketing Verband (DDV) eine Definition verabschiedet, die da lautet:
»CRM ist ein ganzheitlicher Ansatz zur Unternehmensführung. Er integriert und optimiert abteilungsübergreifend alle kundenbezogenen Prozesse in Marketing, Vertrieb, Kundendienst sowie Forschung & Entwicklung. Dies geschieht auf der Grundlage einer Datenbank mit einer entsprechenden Software zur Marktbearbeitung und anhand eines vorher definierten Verkaufsprozesses. Zielsetzung von CRM ist dabei die Schaffung von Mehrwerten auf Kunden- und Lieferantenseite im Rahmen von Geschäftsbeziehungen.«

Nach dieser Definition wären ca. 50 % der besagten 141 Anbieter schlichtweg durchgefallen. Im Sprachgebrauch eingebürgert hat sich jedoch leider nicht der Ansatz »Führungsinstrument« oder gar »strategische Ausrichtung«, sondern schlicht eine Produktbezeichnung für Software, die in der Lage ist, bestimmte Kundenkontakte zu organisieren und Kundendaten zu sammeln und auszuwerten.

Eine 1999 von der Meta Group durchgeführte Befragung unter 231 Unternehmen in Deutschland ergab, dass sich Manager vom Einsatz moderner CRM-Lösungen Folgendes versprechen: 94 % erwarten eine höhere Kundenzufriedenheit, 93 % wollen die Wettbewerbsfähigkeit steigern, 92 % ihren Vertrieb optimieren. Jeweils 91 % der befragten Manager gaben an, eine höhere Transparenz der Kundendaten erhalten zu wollen, die Bestandskunden zu sichern und die Marketingaktivitäten optimieren zu können. Customer Relationship Management – die Aladdins Wunderlampe des loyalitätsbasierten Managements? Nicht ganz.

Betrachten wir zunächst das Leistungsspektrum der CRM-Anwendungen. Im Grunde genommen sind CRM-Pakete (im Idealfall) medienunabhängige Datenbankanwendungen, die jedem Mitarbeiter eines Unternehmens zu jeder Zeit an jedem Ort Zugriff auf aufbereitete Kundendaten gestatten. Im Wesentlichen geht es dabei um die Abteilungen Marketing, Vertrieb und Service. Tabellarisch aufgelistet kann CRM-Software folgende Lösungen liefern:
– Marketing
– Umsatz- und Absatzanalysen
– Marketingkampagnenanalyse und -steuerung
– Produktmanagement
– Produkt- und Marketingkataloge
– Vertrieb
– Produkt- und Preiskonfigurationen
– Key Account Management
– Promotionsteuerung und -analyse
– Vertriebs-Innendienst
– Kontaktmanagement
– Auftragsverwaltung
– Service
– eCommerce-Anbindung
– Call Center-Unterstützung (Help Desk)
– Technischer Kundendienst

CRM ist historisch betrachtet die konsequente Weiterentwicklung dessen, was einmal mit den Begriffen Sales Force Automation (SFA), Computer Aided Selling (CAS) und Database Marketing begann. Unternehmensweit im Rahmen des loyalitätsbasierten Managements eingesetzt ist es ein sehr wertvolles Tool, das zur Verbesserung der Marketingaktivitäten und des Servicelevels innerhalb eines Unternehmens beitragen kann. Es ist sogar sehr gut geeignet, bestimmte Prozesse innerhalb eines Unternehmens stärker am Kunden auszurichten und mithin die Kundenorientierung unternehmensweit zu erhöhen. Allerdings: Die Einführung eines CRM-Tools garantiert noch keine Kundenbindung.

Erst die konsequente Einführung eines loyalitätsbasierten Managements für alle Kundenbeziehungen (Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Investoren, Öffentlichkeit, Unternehmensführung) lässt ein CRM-Tool seine volle Wirkung entfalten. Denn was nützt ein so mächtiges Informationstool, wenn die im engen Kontakt mit dem Kunden stehenden Mitarbeiter leider jedes halbe Jahr wechseln – und sich die neuen Mitarbeiter erst wieder in die Datenbank einarbeiten und jeden einzelnen Kunden kennen lernen müssen?

Eine weitere Hürde, die sich beim Einsatz von CRM-Tools auftürmt, ist es, dass diese in den seltensten Fällen alle Vertriebskanäle gleichermaßen gut bedienen. So gehören Call Center und Internet-Anbindungen zwar schon zur Standardausrüstung, doch schon einfache POS-Anbindungen sucht man vergebens. Dabei wäre es gerade hier, direkt am Ladentresen, eine unendlich wertvolle Hilfe, wenn die gesamte Kunden- und Kontakthistorie permanent verfügbar wäre. Auch die automatisierte Kommunikation mit dem Kunden ist in der Regel noch nicht vorhanden – dabei wären gerade hier die technischen Möglichkeiten doch optimal einsetzbar: Über ein integriertes Frühwarnsystem wird zum Beispiel festgestellt, dass einer der Top-Kunden seit 6 Wochen keinen Einkauf mehr getätigt hat. In verschiedenen Eskalationsstufen beginnt das System nun selbsttätig Rückgewinnungsaktionen: von einer Angebots-eMail über eine entsprechende Outbound-Aktionsanweisung für das Call Center bis hin zum Eintrag im Terminkalender des zuständigen Bezirksdirektors – machbar wäre es. Sogar mit sofortiger Erfolgskontrolle. Das letzte Manko bei den derzeit bestehenden CRM-Systemen (CeBIT 2000) ist die grobe Vernachlässigung eines effizienten Beschwerdemanagements. Zwar können auch Beschwerden im Kontaktmanagement erfasst werden, es fehlt allerdings an der konsequenten Umsetzung in den Bereichen Reaktion, Analyse und Eskalation. Gerade dies ist jedoch eine der Hauptaufgaben moderner Datenbankanwendungen: aus unzufriedenen Kunden über ein effizientes und faires Beschwerdemanagement loyale Kunden zu machen.

Letztendlich sind CRM-Lösungen als technische Anwendung ein wichtiger Baustein des loyalitätsbasierten Managements. Aber eben nur einen Baustein – und noch kein ganzes Haus.

Nach oben scrollen