Nur wenig bleibt beim Alten

Dass der demographische Wandel auf die Gesellschaft und auf die Wirtschaft einwirkt, ist kein Geheimnis. Wo allerdings zuvor nur eine dunkle Zukunft prognostiziert wurde, entstehen nun Hoffnungen für die Wirtschaft: Besonders die Informations- und Kommunikationstechnik könnte in der Zukunft profitieren, denn die Senioren von heute sind keine grundsätzlichen Technik-Verweigerer mehr. Unternehmen sollten sich den neuen Gegebenheiten stellen und mit facettenreichen Angeboten trumpfen.

Alternde Gesellschaft eröffnet großes wirtschaftliches Potenzial.

Standen in der gesellschaftlichen Interpretation lange Zeit die Schreckensszenarien des demografischen Wandels im Vordergrund, kristallisieren sich inzwischen immer mehr die wirtschaftlichen Potenziale heraus. Die Informations- und Kommunikationstechnik hat gute Chancen, zu den Gewinnern dieser Entwicklung zu zählen. Ältere Menschen sind keine grundsätzlichen Technik-Verweigerer. Dies zeigt sich auch daran, dass immer mehr Senioren das Internet nutzen.

Erfolgreiche Angebote sind von Entmündigung und Stigmatisierung weit entfernt.

Die Herausforderung für die Produktentwickler und Marketingstrategen besteht darin, altersgerechte Angebote zu erstellen, die von älteren Menschen weder als Eingriff in ihre Autonomie noch als Betonung ihrer körperlichen Gebrechen wahrgenommen wird. Aussichtsreich sind dabei besonders solche Angebote, die eine barrierefreie Nutzung ermöglichen, ohne dabei als separierende Lösung für bestimmte Altersgruppen zu wirken.

Benutzerfreundlichkeit, Wertesystem und Rechtsrahmen beschränken derzeit den noch größeren Erfolg.

Abseits der technischen Faszination hängt das betriebswirtschaftliche Potenzial unmittelbar von den Bestimmungen zu Datenschutz, Fernbehandlung und Kostenerstattung, von der Benutzerfreundlichkeit und von der gesellschaftlichen Bewertung der Robotik in der Medizin und Pflege ab. Die damit verbundenen Aufgaben sind enorm. Produktentwickler, Marketingstrategen, Mediziner, Pfleger, Politiker und auch die hilfsbedürftigen älteren Menschen selbst müssen bereit sein, die neuen Wege auch zu beschreiten.

Assistenzsysteme, eHealth und Games profitieren vom demografischen Wandel.

Die Angebote sind äußerst facettenreich. Sie reichen vom „intelligenten“ Tablettenspender, der Notfall-Bio-Sensorik im Fahrzeug und Bewegungssensorik über Tele-Monitoring und Online-Sprechstunde bis hin zu Gehirn-Jogging oder Bewegungs-Games.

Technik erweitert Potenzial bei Absatz und Erwerbsbevölkerung

Der demografische Wandel wirkt auf Gesellschaft und Wirtschaft massiv ein. Auch die Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) muss sich noch intensiver als bisher auf die alternde Gesellschaft einstellen. Dabei geht es zum einen darum, die IuK-Angebote auf die speziellen Bedürfnisse der älteren, oft körperlich eingeschränkten Menschen abzustimmen und so das Absatzpotenzial im Privatkundenmarkt zu erweitern. Zum anderen ermöglicht die IuK-Technik den älteren Mitarbeitern im Unternehmen, in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen länger am Erwerbsleben teilzunehmen. Die kreative Teilhabe am Erwerbsleben und die damit verbundene gesellschaftliche Integration können den Selbstwert dieser gesunden „jungen Alten“ verbessern.

Die Technik setzt beim Wohlbefinden älterer Menschen an und eröffnet darüber hinaus auch Potenziale zur Entlastung der Renten-, Pflege- und Krankenkassen. Dabei ist das hier angesprochene Potenzial enorm: Beispielsweise schätzt Robert E. Litan vom New Millennium Research Council, dass sich die Entlastung der Sozialkassen und die zusätzlichen Erlöse aus einer erweiterten Erwerbsbeteiligung allein in den USA auf jährlich EUR 40 Mrd. summieren; dies entspricht 4,1‰ des Bruttoinlandsprodukts.

Demografischer Wandel ist kein lokales Phänomen

Das Statistische Bundesamt schätzt, dass in Deutschland die Lebenserwartung eines Neugeborenen in den nächsten 20 Jahren um weitere 4 Jahre steigt (Lebenserwartung eines heute neugeborenen Jungen: 76 Jahre; Mädchen: 82 Jahre). Dadurch steigt auch das Verhältnis der über 65-Jährigen zur Bevölkerung im Erwerbsalter weiter an, von heute 31% auf über 50% in 2035. Gesellschaft und Sozialsysteme müssen darauf vorbereitet werden, dass der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in den nächsten 20 Jahren um die Hälfte wächst; während sich der Anteil der über 80-Jährigen sogar verdoppelt.

Das Phänomen der alternden Gesellschaft tritt nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen hochentwickelten Industriestaaten auf. In diesen Industrieländern kommen auf einen über 65-Jährigen immer weniger Menschen im Erwerbsalter. Weltweit wird die Zahl der über 60-Jährigen in den nächsten 15 Jahren auf 1,2 Mrd. wachsen und sich damit im Vergleich zu heute verdoppeln.

Weltweit setzen sich die Verantwortungsträger aus Politik und Wirtschaft mit den drängenden Fragen des demografischen Wandels auseinander. Den Initiativen in Politik und Wirtschaft, die sich heute bereits mit der Bedeutung der IuK-Technik für die alternde Bevölkerung beschäftigen, werden weitere folgen. So unterstützt beispielsweise das Bundesforschungsministerium für die nächsten 3 Jahre verschiedene Initiativen mit insgesamt EUR 145 Mio.

Bei den Initiativen in diesem Feld geht es grundsätzlich darum, Technik zu entwickeln, die die Senioren mit ihren spezifischen Bedürfnissen und körperlichen Einschränkungen gut in das alltägliche gesellschaftliche Leben integriert. Diese integrativen Initiativen verfolgen üblicherweise einen umfassenden, nicht-separierenden Ansatz. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten zielen sie demnach sowohl auf den körperlich eingeschränkten hilfsbedürftigen Senior als auch auf den gesunden älteren Mitarbeiter im Unternehmen.

Senioren sind keine Technikverweigerer

Ein weit verbreitetes Vorurteil beschreibt Senioren als grundsätzlich ablehnend und reserviert gegenüber moderner Technik. Diesem Bild kann mit der Beobachtung entgegnet werden, dass es heute immer mehr Senioren gibt, die einen wesentlichen Teil ihrer täglichen Zeit mit moderner Technik verbringen. Dies gilt umso mehr, wenn die IuK-Technik preisgünstig ist und für den älteren Menschen einen unmittelbaren Nutzen eröffnet, wie beispielsweise für den Orientierungsassistenten, der Demenz-Kranke mit Orientierungsstörungen bei einer selbstständigen Lebensführung unterstützt.

Auch heute nutzen Senioren das Internet seltener als jüngere Menschen. Gleichwohl ist im Zeitablauf die Zahl der Senioren im Internet spürbar gewachsen: So ist bei den 60- bis 79-Jährigen mittlerweise jeder Dritte online – in den meisten Fällen sogar per schneller DSLVerbindung. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie nutzen Senioren das Internet vorrangig zur Informationsfindung (z.B. Produktinformation mit Preisvergleich) und zum Senden und Empfangen von eMails.

Im Alltag der Senioren dürfte die moderne IuK-Technik immer bedeutender werden. Zunehmend mehr Senioren bringen aus ihrer beruflichen Tätigkeit zumindest Grundkenntnisse im Umgang moderner IuK-Technik mit. Auf dieser Basis können sie dann aufbauen und sich recht schnell mit verwandten Technikfeldern vertraut machen. So steigt beispielsweise der Anteil der über 55-jährigen Internet- Nutzer an allen Internet-Nutzern kontinuierlich. Mit dieser größeren Nähe zur Technik wird die Hürde für den Einsatz weiterer moderner IuK-Technik sinken.

Gesunde Mitarbeiter können länger dabei bleiben

Das Statistische Bundesamt prognostiziert, dass die Erwerbsbevölkerung in Deutschland bis 2060 von derzeit 50 Mio. auf etwa 33 Mio. schrumpfen wird. In diesem großen gesellschaftlichen Wandelkann die moderne IuK-Technik einen wesentlichen Teil dazu beitragen, unseren Wohlstand zu sichern. Die Technik bewirkt zum einen, dass die Produktivität der Erwerbstätigen steigt. Zum anderenhilft sie bei steigendem Renteneintrittsalter, die Arbeitsplätze besser an die Bedürfnisse der älteren Mitarbeiter anzupassen. Somit trägt die Technik dazu bei, dass in der Volkswirtschaft die Gruppe
der Erwerbstätigen langsamer schrumpft.

Moderne IuK-Technik ist vielfältig einsetzbar. Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Robotik, die in der Fertigung kräftezehrende Tätigkeiten erleichtern, über Bildschirme mit altersgerechter Darstellung in Büros bis hin zur Informationstechnik, die Tele-Arbeit ermöglicht. Im Wettbewerb um die Erwerbstätigen gewinnen die Unternehmen mit flexiblen Arbeitsformen, die die Umstände der Erwerbstätigkeit besser an die individuellen Präferenzen des Mitarbeiters anpassen. Im massiven demografischen Wandel werden sich immer mehr Unternehmen vom starr definierten tradierten Normalarbeitsverhältnis verabschieden und auf die über die IuK-Technik eröffneten neuen Möglichkeiten zurückgreifen. Hier wird die alternierende Tele Arbeit (örtlicher Wechsel zwischen betrieblichem und heimischem Arbeitsplatz) besonders bei erfahrenen älteren Mitarbeitern immer bedeutender – insofern der Tätigkeitsbereich und die individuelle Arbeitsorganisation grundsätzlich zum Konzept der Tele-Arbeit und zur Unternehmensstruktur passen.

Die alternierende Tele-Arbeit eröffnet Unternehmen und Arbeitnehmern Vorteile. Allein die gesparte Pendlerzeit und der größere Freiheitsgrad bei der Organisation der eigenen Tätigkeit sollten den Arbeitnehmer zusätzlich motivieren. Diese Motivation dürfte viele ältere Mitarbeiter, deren Gesundheit es zulässt, davon überzeugen, in einer flexiblen Form der Arbeitsorganisation länger kreativ am
Erwerbsleben teilzunehmen.

Die IuK-Technik mit ihrer Fülle von Angeboten für Büro und Fertigung ermöglicht es somit den gesunden „jungen Alten“ in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen länger am Erwerbsleben teilzunehmen. Diese gesunden „jungen Alten“ können von den kreativen Herausforderungen des Erwerbslebens und der Einbindung in ein soziales Umfeld profitieren.

Senioren als Nachfrager relevant

Die wachsende Gruppenstärke, die recht hohen Vermögensbestände und die vorhandene Kaufkraft machen die Senioren zur interessanten Zielgruppe – nicht zuletzt eben auch für die IuK-Branche. Der Konsum der über 60-Jährigen beläuft sich aktuell auf gut EUR 300 Mrd.; dies entspricht einem Drittel des gesamten Konsums in Deutschland. Auf die Gruppe der über 50-Jährigen entfällt in Deutschland bei einzelnen Gütergruppen wie Nahrungsmittel, Bekleidung und Reisen bereits die Hälfte der Konsumausgaben. Bis 2030 dürfte diese immer stärker wachsende Altersgruppe dann sogar drei Fünftel des gesamten Konsums ausmachen.

Anbieter müssen sich auf neue Situation einstellen

Das Konsumverhalten der Älteren unterscheidet sich spürbar von dem der Jüngeren, die bislang vorwiegend die Zielgruppe der IuKBranche waren. Ältere Menschen legen weniger Wert auf Produkte aus dem Bereich der digitalen Unterhaltung, dagegen aber mehr Wert auf Produkte aus den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Hilfen für die alltäglichen Aufgaben. Technik-Anbieter werden sich daher zunehmend fragen, wie sie ihre Angebote noch besser auf die speziellen Bedürfnisse und die körperlichen Einschränkungen dieser Konsumentengruppe zuschneiden können. Gemäß einer Umfrage des Beratungsunternehmens Capgemini bieten bislang lediglich 14% der Elektronik-, Hightech- oder Software-Unternehmen, dagegen aber 53% der Banken und sogar 72% der Versicherungen spezielle altersgerechte Angebote.

Die große Herausforderung für die Produktentwickler und Marketingstrategen besteht momentan darin, altersgerechte Angebote zu erstellen, die von den Senioren weder als entmündigender Eingriff in ihre Autonomie noch als stigmatisierende Betonung ihrer Gebrechen wahrgenommen werden. Forscher um Mathias Knigge formulieren, dass „ältere Menschen es ablehnen, durch den Akt des Konsums eigene Defizite (…) zu bestätigen“. Die verschiedenen Angebote, die oft unter den Bezeichnungen „Universal Design“ oder auch „Design for All“ firmieren, nehmen die Herausforderung konstruktiv auf. Bei diesen Ansätzen geht es grundsätzlich darum, eine barrierefreie Nutzung zu ermöglichen, die nicht als spezielle separierende Lösung für bestimmte Altersgruppen mit körperlichen Gebrechen verstanden wird (z.B. ein einziger barrierefreier Eingang mit großer automatisierter Tür statt eines speziellen Behindertenfahrstuhls am Hintereingang).

Im demografischen Wandel gut aufgestellt

Standen die Nachteile, die sich aus dem demografischen Wandel ableiten, lange Zeit im Vordergrund, werden heute immer mehr die wirtschaftlichen Potenziale des Wandels betont. In der IuK-Branche eröffnen sich diese Chancen insbesondere für die Segmente Assistenzsysteme, eHealth und Games.

Assistenzsysteme bewahren Selbstständigkeit

Auf IuK-Technik basierende Assistenzsysteme (Ambient Assisted Living, AAL) setzen bei den Bereichen Kommunikation, Unterhaltung, Sicherheit, Ernährung und Gesundheit an. Die Systeme wollen die Menschen bei den alltäglichen Aufgaben entlasten und damit den Senioren ein selbstständigeres Leben im gewohnten heimischen Umfeld erlauben. AAL-Systeme sollen insbesondere altersbedingte Einschränkungen kompensieren – im Gegensatz beispielsweise zu den Projekten der „Human Enhanced Technology“, bei denen die Technik die menschliche Leistungsfähigkeit ins Übermenschliche steigern soll.

Dieses Ziel setzt voraus, dass die mögliche Automatisierung dort enden muss, wo sie unnötig in die Autonomie des hilfsbedürftigen Menschen eingreift. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der elektronisch gesteuerte Rollladen. Dieser wird in konsequent durchdachten AAL-Konzepten bewusst nicht automatisch über Helligkeitssensoren gesteuert, sondern manuell per Knopfdruck. Die Begründung für diese Beschränkung ist, dass der hilfsbedürftige Mensch nur so weiterhin autonom über die Helligkeit in seinen Räumen bestimmen kann.

Weitere Beispiele für aussichtsreiche AAL-Systeme sind:

– der „intelligente“ Tablettenspender, der die rechtzeitige Einnahme von Dauermedikamenten unterstützt,

– der intelligente Rollstuhl, der Hindernissen selbstständig ausweicht und beim Orientieren hilft,

– die Notfall-Bio-Sensorik im Fahrzeug, die bei einem Schlaganfall des Fahrers einen Notruf absetzt und den Wagen sicher zum Stehen bringt,

– die Bewegungssensorik, die bei eklatanten Abweichungen vom typischen Verhaltensmuster des hilfsbedürftigen Menschen im häuslichen Umfeld, beispielsweise einem schweren Sturz, automatisch die medizinische Notrufzentrale alarmiert.

eHealth intensiviert Arzt-Patienten-Verhältnis

Der demografische Wandel betrifft Deutschland umso mehr, als die Deutschen im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn überdurchschnittlich oft an chronischen Krankheiten leiden – und darüber hinaus diese besonders teuer zu therapieren sind. Diesbezüglich kommt der IuK-Technik in der Medizin und der Pflege eine wichtige Rolle zu. Der Einsatz moderner IuK-Angebote im Gesundheitswesen (eHealth) geht weit über die viel diskutierte elektronische Gesundheitskarte und die übliche biomedizinische Technologie im engeren Sinne (wie EKG-, Ultraschall-, MRT-Geräte) hinaus. Patienten, Ärzte sowie Krankenkassen können von den neuen technischen Möglichkeiten zur Unterstützung der medizinischen Versorgung profitieren.

Wie die folgenden Beispiele aus den beiden Bereichen Tele-Monitoring und Online-Sprechstunde belegen, ist eHealth keine utopische Vision einer fernen Zukunft, sondern wird heute bereits angewendet:

– Das Tele-Monitoring ist ein noch sehr junger Teilaspekt der Telemedizin. Dabei geht es darum, dass der Arzt seinen Patienten aus der Ferne behandelt. Dazu erhebt der Patient selbst mit einem speziellen Messgerät zu Hause seine Vitaldaten (z.B. Blutdruck, Herzrhythmus und Blutzucker). Das Messgerät übermittelt diese digitalisierten Daten automatisch an den behandelnden Arzt. So sollen frühzeitig gesundheitlich kritische Entwicklungen erkannt und abgewendet werden. Besonders erfolgversprechend sind solche Tele-Monitoring-Geräte, die dem Patienten einen hohen Tragekomfort, eine intuitive Bedienung und in wechselnden Einsatzbedingungen eine ausgewiesene Robustheit gewährleisten.

– Die Online-Sprechstunde ergänzt die althergebrachte Form des Arztbesuches ohne diesen ersetzen zu wollen. Mess- und Kommunikationsgeräte unterstützen den behandelnden Arzt dabei, sich aus der Ferne ein möglichst vollständiges Bild vom aktuellen Gesundheitszustand des Patienten zu machen. Bei zusätzlichem Beratungsbedarf kann bei der Online-Sprechstunde ein weiterer Facharzt als Experte hinzugezogen werden. Ohne jeweils vor Ort sein zu müssen, können die beiden Ärzte auf Basis der digitalisierten Patientenakte die anstehenden therapeutischen Maßnahmen
online diskutieren. Damit verbessert die Online-Sprechstunde die Qualität der medizinischen Versorgung und erspart den Patienten darüber hinaus beschwerliche Krankentransporte sowie lange Wartezeiten in der Arztpraxis.

Die beiden Beispiele Tele-Monitoring und Online-Sprechstunde zeigen, wie eHealth das Arzt-Patienten-Verhältnis um einen weiteren Kommunikationskanal ergänzt und damit intensiviert. Dadurch können kostenintensive Krankenhausaufenthalte verkürzt und die Intervalle der notwendigen wiederkehrenden Untersuchungen verlängert werden. Besondere Erfolge feiert eHealth bei der Behandlung chronisch Kranker und dauerhaft Pflegebedürftiger. So errechnet die Europäische Kommission, dass mit eHealth in Deutschland die jährlichen Kosten allein für Krankenhausaufenthalte um rund EUR 1,5 Mrd. niedriger liegen könnten. Der Verband VDE schätzt, dass mit eHealth hierzulande die Behandlungskosten chronischer Herzinsuffizienz um ein Drittel sinken dürften. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) kalkuliert gar, dass die mit eHealth erreichbare optimierte Patientenführung die Behandlungskosten bei chronischen Herzerkrankungen halbiere.

Games: Senioren stoßen in neue Welten vor

Neben den Angeboten aus den Bereichen Assistenzsysteme und EHealth interessieren sich immer mehr Senioren auch für Angebote aus dem Games-Segment. Die Emotionalität des Spielerlebnisses wächst mit den neuartigen altersgerechten Steuermöglichkeiten und künftig verstärkt auch den neuen Möglichkeiten von speziellen vernetzten Senioren-Plattformen. So rückt speziell bei den Konsolen-Games die bewegungssensible Steuerung in den Mittelpunkt. Dabei wird das Game nicht mehr über Tasten, Knöpfe oder Joystick, sondern über die passende Körperbewegung des eSpielers selbst (z.B. Schlagbewegung beim Golfen) gesteuert. Bei den fortentwickelten Varianten der Bewegungssteuerung, oft auch als „Motion Capturing“ bezeichnet, lenkt der eSpieler seine Figur ausschließlich über die Bewegung seiner Hände, seiner Beine sowie über Stimme und Geste. Diese neue Steuerungsmöglichkeit zieht den Spieler in das Spiel hinein und steigert somit das emotionale Spielerlebnis enorm.

Speziell die Sport- und Bewegungs-Games, und hier wiederum insbesondere auch die medizinisch-therapeutischen Games-Angebote, setzen verstärkt auf die Emotionalisierung über die Steuerung. Diese Angebote machen es älteren Menschen besonders einfach, Körper und Geist zu trainieren. So werden Gehirn-Jogging-Games bei der Therapie von Alzheimer-Kranken eingesetzt. Daneben nutzt beispielsweise die Krankengymnastik für Muskelaufbau, Yoga- oder Gleichgewichtsübungen auch Exer-Games (von Exercise: Ausgleichssport) mit neuartiger bewegungssensibler Steuerung. Diese Angebote erzielen in der Praxis oft überraschende therapeutische Erfolge. Diese Erfolge rühren auch daher, dass bei entmutigenden krankengymnastischen Übungen die Hemmschwelle niedriger ist, wenn statt eines Krankengymnasten eine Maschine korrigierend eingreift.

Etliche Hürden stehen vor dem wirtschaftlichen Erfolg

Abseits der technischen Faszination hängt der betriebswirtschaftliche Erfolg der Angebote aus den Segmenten Assistenzsysteme, EHealth und Games unmittelbar vom Rechtsrahmen ab. So gibt es neben den Bestimmungen zu Datenschutz und Zulässigkeit von therapeutischer Fernbehandlung auch ein umfassendes Regelwerk zur Kostenerstattung der Kranken- und Pflegekassen. Hierbei ist besonders beachtenswert, dass das deutsche Gesundheitswesen etliche Angebote aus den Bereichen Assistenzsysteme, eHealth und Games der präventiv-vorbeugenden Versorgung zurechnet. Vorbeugende Versorgung wiederum ist üblicherweise nicht durch den Leistungskatalog der deutschen Krankenkassen abgedeckt – auch dann nicht, wenn diese Maßnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass ein älterer Mensch länger ohne wesentliche Beschwerden in seinem heimischen Umfeld leben kann. Diese Zuordnung zur präventiven Versorgung errichtet somit eine erhebliche Hürde für die schnellere Verbreitung der Angebote. So lehnen Krankenkassen die Erstattung der Anschaffungskosten eines privatgenutzten Exer-Games üblicherweise ebenso ab wie die Erstattung der Investitionen in die technische Infrastruktur von Privaträumen (z.B. das Nachrüsten von Privaträumen mit Bewegungssensoren oder mit solchen Telemedien-Geräten, die zur Nutzung der Online-Sprechstunde notwendig wären).

Benutzerfreundlichkeit und Wertesystem entscheidend

Nachfrageseitig hängt der wirtschaftliche Erfolg eines Produktes insbesondere vom gesellschaftlichen Wertesystem und von der Benutzerfreundlichkeit des Endgerätes ab. Die Benutzerfreundlichkeit entscheidet sich dabei vor allem an den beiden Teilaspekten altersgerechtes ergonomisches Design und intelligent lernendes Systemverhalten. Intelligent lernendes Verhalten liegt dann vor, wenn sich das System im Zeitablauf an den Nutzer anpasst und bei inkonsistenten oder fehlerhaften Eingaben immer mehr im eigentlichen Sinne des Anwenders reagiert. Ergonomisches Design dagegen liegt dann vor, denn die Ein- und Ausgabemöglichkeiten auf die körperlichen Einschränkungen des hilfsbedürftigen Menschen an gepasst sind. Gute Erfolgsaussichten haben demnach beispielsweise sprachorientierte Angebote für sehbehinderte Menschen oder Angebote mit großen druckempfindlichen Schaltflächen für Menschen mit motorischen Störungen.

Über die Benutzerfreundlichkeit hinaus ist vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt ebenfalls entscheidend, wie das gesellschaftliche Wertesystem die Robotik in der Medizin und der Pflege einordnet. So zeigen sich etwa die Japaner gegenüber der Robotik sehr viel aufgeschlossener als die Deutschen. Diese Aufgeschlossenheit geht auch auf das geringe Angebot an geeigneten Arbeitskräften aus dem Niedriglohnbereich zurück, welches wiederum mit den restriktiven japanischen Zuwanderungsregeln einhergeht. Dieses Beispiel deutet darauf hin, dass auch die gesellschaftliche Zurückhaltung der Deutschen hinsichtlich der Robotik in der Medizin und der Pflege keine auf alle Zeit festgelegte Größe ist, sondern – zumindest langfristig – auch auf die kommenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten reagieren wird.

Flankierende Dienste vergrößern Erfolgsaussichten

Bei der Entwicklung altersgerechter IuK-Technik wirkt die überbordende Automatisierung der Angebote kontraproduktiv. Senioren werden stattdessen insbesondere solche Angebote wertschätzen, die in ihrer Lebenssituation einen praktischen Nutzen eröffnen, ohne dass sie stigmatisierend oder auch technisch überfordernd daherkommen. Die Barrieren und Ängste sind hier sehr deutlich. Gemäß der „QVC-Elektronik-Service-Studie 60+“ des Marktforschungsunternehmens GfK fühlt sich die Mehrheit der Senioren beim Kauf moderner IuK-Angebote in Elektronikfachmärkten schlecht beraten. Dieses Gefühl, gepaart mit der Angst vor Überforderung, schränkt das Absatzpotenzial der modernen Technik in dieser Altersgruppe ein. So gibt jeder dritte ältere Konsument an, wegen der Angst vor technischer Überforderung mindestens ein Mal ein Angebot letztlich nicht gekauft zu haben; jeder siebte tat dies bislang bereits mehrmals – insbesondere in ländlichen Regionen.

Angebote, die der Gefahr der technischen Überforderung mit flankierenden Diensten entgegentreten, sind angesichts der gestellten Aufgabe besonders aussichtsreich. Dienstleistungen im Bereich der technischen Unterstützung von Installation und Betrieb beziehungsweise altersgerechte Schulungen für die moderne Technik sind hier ebenso gefragt. Einige Beispiele für solche flankierenden Dienste sind:

– die Senioren-Hotline (ein Fachberater steht den älteren Menschen bei Fragen im Umgang mit IuK Geräten telefonisch zur Seite),

– das Senioren-helfen-Senioren-Netz (geschulte ältere Menschen helfen vor Ort ihren Altersgenossen bei Problemen im Umgang mit der Technik),

– eine Service-DVD für den Senioren-PC (regelmäßig ausgelieferte DVD mit Updates für den PC des älteren Nutzers),

– die Senioren-Homepage (Lösungen zu häufig auftretenden Problemen bei der Nutzung von PC und Internet),

– ein Avatar auf der Internet-Seite (grafisch animierte Figur, die durch das Angebot führt und erklärt).

Hilfe baut immer mehr auf Breitband-Internet

Schon heute setzen etliche der flankierenden Dienste im PC-Umfeld einen Zugang zum Breitband Internet voraus. Somit ist strukturpolitisch besonders wichtig, wie sich die Breitbandversorgung entwickelt – speziell in ländlichen Gebieten mit einem überdurchschnittlichen Seniorenanteil. Trotz dieses Wissens um diesen strukturpolitischen Stellenwert der Breitbandversorgung klaffen Anspruch und Wirklichkeit auch in Deutschland weit auseinander. So ist bei den Bundesländern das West-Ost-Versorgungsgefälle überdeutlich.

Heute können 5 Mio. Deutsche immer noch nur sehr eingeschränkt das Internet nutzen – speziell in ländlichen Gebieten mit hohem Seniorenanteil. Diesen Betroffenen kann kein Anschluss zur Verfügung gestellt werden, der eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 1 MBit/s bietet – einer Minimalanforderung für den benutzerfreundlichen Zugang zu modernen Breitband-Internet- Diensten. Politik und Telekommunikationsunternehmen stehen hier hinsichtlich des großen demografischen Wandels noch vor einigen drängenden Aufgaben.

Fazit: Im demografischen Wandel bleibt nur wenig beim Alten

In Deutschland wird der Anteil der über 65-Jährigen in den nächsten 20 Jahren um die Hälfte steigen; während sich der Anteil der über 80-Jährigen sogar verdoppelt. Auch die Informations- und Kommunikationstechnik stellt sich auf den demografischen Wandel ein. Standen in der Öffentlichkeit lange Zeit die Nachteile der alternden Gesellschaft im Vordergrund, werden heute immer mehr auch die wirtschaftlichen Potenziale erkannt.

Die Informations- und Kommunikationstechnik übernimmt bei der Bewältigung des demografischen Wandels eine wichtige Rolle. So gibt es immer mehr altersgerechte Angebote (z.B. in den Bereichen Assistenzsysteme, eHealth und Games), die auf die speziellen Bedürfnisse der älteren, oft körperlich eingeschränkten Menschen eingehen und damit das Absatzpotenzial der Branche im Privatkundenmarkt zu erweitern. Zum anderen ermöglicht die Technik den älteren Mitarbeitern im Unternehmen, in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen freiwillig länger am Erwerbsleben teilzunehmen. Diese kreative Teilhabe am Erwerbsleben und die damit verbundene gesellschaftliche Integration wirken positiv auf den Selbstwert der gesunden „jungen Alten“. So setzt die Technik beim Wohlbefinden älterer Menschen an und eröffnet darüber hinaus Potenziale zur Entlastung der Renten-, Pflege- und Krankenkassen.

Die große Herausforderung für die Produktentwickler und Marketingstrategen besteht darin, altersgerechte Angebote zu erstellen, die von den Senioren weder als entmündigender Eingriff in deren Autonomie noch als stigmatisierende Betonung der körperlichen Gebrechen wahrgenommen werden. Aussichtsreiche Ansätze aus dem Bereichen „Universal Design“ und „Design for All“ bieten eine barrierefreie Nutzung, die nicht als separierende Lösung für bestimmte Altersgruppen mit körperlichen Gebrechen daherkommt.

Innerhalb des breiten Spektrums der Informations- und Kommunikationstechnik besonders aussichtsreich sind die drei Segmente Assistenzsysteme, eHealth und Games. Die Angebote dabei sind äußerst breit gefächert. Sie reichen vom „intelligenten“ Tablettenspender, der Notfall-Bio-Sensorik im Fahrzeug und Bewegungssensorik über Tele-Monitoring und Online-Sprechstunde bis hin zu Gehirn-Jogging oder Bewegungs-Games.

Abseits der technischen Faszination hängt der betriebswirtschaftliche Erfolg der Technik unmittelbar von der nachfrageseitigen Akzeptanz und vom Rechtsrahmen ab. So wird der schnelle wirtschaftliche Erfolg derzeit nicht nur durch die umfangreichen Bestimmungen zu Datenschutz, Fernbehandlung und Kostenerstattung, sondern auch durch die allzu oft immer noch unzureichende Benutzerfreundlichkeit und nicht zuletzt auch durch die weit verbreitete gesellschaftliche Zurückhaltung gegenüber den technischen Lösungen gebremst.

Letztlich rückt die Technik unaufhaltsam näher an den Menschen, sein Handeln und Empfinden heran. Dieses Heranrücken speist Schreckensszenarien. Doch ganz im Gegensatz zu den damit verbundenen Schreckensszenarien steht die nüchterne Erkenntnis, dass bei dem anstehenden Rückgang der Erwerbsbevölkerung unser Wohlstand allein über den Einsatz von Technik gesichert werden kann. In dieser Situation müssen Produktentwickler, Marketingstrategen, Mediziner, Pfleger, Politiker und auch die hilfsbedürftigen älteren Menschen selbst bereit sein, neue Wege zu beschreiten. Denn schließlich bleibt im demografischen Wandel nur wenig beim Alten.

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