Online-Recruiting – Fischen im weltweiten Netz

Nicht erst seit der vieldiskutierten „Green Card“-Initiative der Bundesregierung ist das Problem mangelnder Nachwuchskräfte offensichtlich. Die Unternehmen müssen sich dabei den Vorwurf gefallen lassen, geeignete wie vorhandene Instrumente zur Gewinnung neuer Mitarbeiter nicht effektiv genug auszuschöpfen.

Die angespannte Lage auf dem Markt für qualifizierte Mitarbeiter kristallisiert sich so gerade auch für den weltweiten Internet-Boom mehr und mehr als spürbarer Hemmschuh heraus. Experten gehen davon aus, daß der ohnehin schon offensichtliche Mangel an Fachkräften noch deutlich zunehmen wird. So prognostizieren etwa die Berater von IDC in Europa einen IT-Fachkräftemangel von über 1,2 Mio. Personen im Jahr 2000 – Tendenz: Steigend. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchung der Information Technology Association of America. Einer von zwölf Arbeitsplätzen in der IT-Branche in Amerika bleibt wahrscheinlich unbesetzt, so das Resumee der in Virginia ansässigen Organisation.

Auch öffentliche Institutionen haben inzwischen die Brisanz der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt erkannt. So hat etwa die EU in ihrer Erklärung von Lissabon auf die Bedeutung der Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern hingewiesen und erst im Februar eine Mitteilung über „Strategien für Beschäftigung in der Informationsgesellschaft“ veröffentlicht. In die gleiche Richtung geht das „Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs“, die Etablierung neuer Ausbildungsberufe oder die Initiative „Schulen ans Netz“. Es bleibt allerdings zu erwarten, daß diese Initiativen allenfalls mittel- bis langfristig Wirkungen zeigen. Gut ausgebildete Fachkräfte mit fünf bis zehn Jahren Berufserfahrung sind (leider) nicht über Nacht zu haben.

Unternehmen machen derweilen aus der Not eine Tugend und nutzen verstärkt das Internet selbst um Kontakt zu geeigneten IT-Fachkräften aufzubauen. Eine Studie von iLogos Research kommt dann auch zu dem Ergebnis, daß fast 80% der Top 500 Unternehmen weltweit Online-Recruiting auf Ihren Websites betreiben. Zum Vergleich: Vor zwei Jahren waren es erst 29%. Betrachtet man einzelne Branchen, so wird schnell deutlich, wo eine besondere Nachfrage nach Fachkräften besteht: Die Top500-Unternehmen im Bereich High-Tech/Internet rekrutieren zu 100% im weltweiten Datennetz. Die weite Verbreitung des Online-Recruiting wird unmittelbar nachvollziehbar, wenn man sich einige der vielen Vorteile der Personalsuche über das Internet vor Augen führt:

 • Reduzierte Kosten pro Einstellung (Elektronischer Content kann kostenarm aktualisiert werden. Durch Vorselektion via Internet können Anreisekosten von Bewerbern eingespart werden.)

 • Zeitliche Verkürzung des Recruiting-Prozesses (Das Internet ist 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche verfügbar. Angebote können in der Regel extrem kurzfristig veröffentlicht werden. Eine Bewerberreaktion ist nach wenigen Minuten möglich)

 •  Globale Verbreitung / Kostenlose Aufnahme in Meta-Job-Suchmaschinen (Tageszeitungen haben einen relativ geringen Verbreitungsgrad, der in der Regel zudem auf einzelne Regionen bzw. Länder beschränkt ist. Online-Jobinformationen können weltweit abgerufen werden. Meta-Jobmaschinen, wie z.B. der Job-Robot der Zeit sorgen für eine noch größere Verbreitung)

 •  Längere Präsenz von Informationen (Tageszeitungen oder Magazine haben eine relativ geringe Halbwertszeit. Eine Online-Präsenz kann bequem über mehrere Wochen ausgedehnt werden, ohne relevante Mehrkosten zu produzieren.)

 •  Interaktivität (Nähere Informationen zu Stellen, Aktivitäten der Firma bzw. Institution oder der Mailaccount eines Recruiters sind nur einen Mausklick entfernt. Der Aufwand bzw. die Hemmschwelle ist, verglichen zur herkömmlichen Papiermethode, extrem gering.)

 •  Vorselektierte Nutzergruppe (Man kann davon ausgehen, daß insbesondere Personen mit guten Internet-Kenntnissen dieses Medium zur Jobsuche benutzen.)

Nun ist Online-Recruiting nicht mit dem Abbilden von Printanzeigen im Internet gleichzusetzen. Doch was ist konkret bei Gestaltung eines Career-Bereichs auf der eigenen Firmenwebsite zu beachten? Erste Hinweise darauf liefert bspw. eine Studie der TU Berlin. Der Lehrstuhl von Prof. Dr. Trommsdorff hat für die Zeitschrift „Die Welt“ Untersuchungen zum Thema „Personal-Recruiting im Netz“ durchgeführt. Schwerpunkt war die Frage, wie Top-Unternehmen potentielle Mitarbeiter im Internet ansprechen. Dabei machten die Forscher die Qualität einer Recruiting-Site an sieben Hauptkriterien mit unterschiedlicher Gewichtung fest:

 •  Persönliche Ansprache (Verlinkung des Recruiting-Bereichs auf der Homepage; Präsentation von Personen des Unternehmens)

 •  Aktualität des Internet-Auftritts (Existenz von Angeboten; Aktualisierung; Feedback-Abfrage)

 •  Qualität der Unternehmensdarstellung (Organisationsstruktur, Geschäftsbericht; News; Kennzahlen; Unternehmenskultur)

 •  Online-Kontaktaufnahme (Informationsmaterial bestellbar; Ansprechpartner (Telefon, e-mail); Hinweis auf Kontaktmessen; Antwort auf allgemeine Anfragen per mail)

 •  Detailinformationen für Bewerbergruppen (Informationen zu Stellenangeboten, Zielgruppen und Bewerbungsgesprächen; Suchfunktion; Möglichkeit zur Online-Bewerbung; Antwort auf spezifische e-mail)

 •  Sicherheit und Diskretion (Gesicherte Übertragung persönlicher Daten)

 •  Layout und Navigation (Grafiken; Sitemap; Quickstep; Suche; Hilfefunktion)

Die Ergebnisse des Teams um Prof. Dr. Trommsdorff sind allerdings ernüchternd: Nur 2/3 der Unternehmen beantworten eine allgemeine Anfrage per e-mail zum Thema Recruiting innerhalb von sechs Tagen. Und konkrete Tips für die Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche (5%) sind ebenso Mangelware wie Hinweise auf Karrieremöglichkeiten im betreffenden Unternehmen (16%). Auch die Datensicherheit ist für den überwiegenden Teil der analysierten Firmen offensichtlich kein relevantes Thema. 95% übermitteln persönliche Daten ungesichert über das Internet. Insgesamt bleibt anzumerken, daß selbst die am besten getesteten Recruiting-Auftritte noch deutliches Verbesserungspotenzial aufweisen.

Doch selbst die perfekt gestaltete Website vermag nicht automatisch aussichtsreiche Bewerber auf ein Online-Angebot zu locken. Daher gehen Unternehmen mehr und mehr dazu über, die Aufmerksamkeit der potentiellen neuen Mitarbeiter durch spektakuläre und interessante Sonderaktionen auf sich zu lenken. Ein Beispiel hierfür sind Recruiting-Spielangebote im Internet. Der Firma Siemens ist es beispielsweise mit ihrem Online-Spiel „Challenge Unlimited“ gelungen, innerhalb weniger Wochen fast 13.000 Internet-Nutzer auf ihre Site zu ziehen. Aufgabe der „Cyber-Consultants“ war es, die Stadt Nouvopolis zu retten. Das Spiel selbst war mit aussagefähigen psychologischen Testverfahren hinterlegt. Diese wurden am Lehrstuhl von Prof. Dr. Wottawa an der Ruhr-Universität Bochum entwickelt. Nach Spielende gab es für die Mitspieler die Möglichkeit, das „erspielte“ Profil für die Recruiting-Abteilung von Siemens freizuschalten. Den Vorteil eines solchen Spiels sieht Prof. Dr. Wottawa insbesondere in der Tatsache, daß Personen, die sich sonst nicht bei Siemens beworben hätten, angesprochen werden konnten. „Durch die aussagefähige Vorselektion über das Internet kann zudem die Gruppe derer, die zu einem Erstinterview eingeladen werden, effektiver eingegrenzt werden“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Methodenlehre, Diagnostik und Evaluation der Ruhr-Universität in einem Interview mit ECIN. Kosteneinsparungen, etwa für Fahrtkosten oder die Nicht-Durchführung überflüssiger Interviews sind ein willkommener Nebeneffekt. Aus psychologischer Sicht können jedoch noch nicht alle Register gezogen werden. So ist das Internet bspw. noch zu langsam, um mit Videosequenzen arbeiten zu können. Zudem ist der „Testverbrauch“ relativ hoch. Durch die Verbreitung von Musterlösungen über Chaträume oder Newsgroups müssen viele Varianten der eingesetzten Tests entwickelt und schnell ersetzt werden können. Ein Problem stellt nach wie vor die Authentifikation der Teilnehmer dar. Um auszuschließen, daß Dritte stellvertretend an einer Vorauswahl per Internet teilnehmen, wären bspw. regionale Testzentren oder der Einsatz digitaler Signaturen denkbar. Das Einsatzgebiet solcher Recruiting-Spiele ist eher im Bereich der Vorselektion zu sehen. „Für die Endauswahl halte ich ein face-to-face-Verfahren für unerläßlich“, schränkt Prof. Dr. Wottawa ein.

Einen anderen Weg ging die Firma Interwoven mit ihrer „Drive a Z3“-Kampagne. Alle qualifizierten IT-Fachkräfte, die sich im Februar bzw. März diesen Jahres beworben und bis Mitte April einen entsprechenden Arbeitsvertrag unterzeichnet hatten, erhielten die Leasingrate für einen BMW Z3 als besonderen Bonus. Gleichzeitig sollten kuriose Randbemerkungen wie etwa der Hinweis, daß ein Radar-Detector nicht im Preis inbegriffen sei, den Eindruck einer „lockeren“ Firmenkultur verstärken. Die Bedeutung des Arbeitsklimas für das Unternehmen unterstreicht auch die Career-Seite, die wertvolle Hinweise zu den bei Interwoven üblichen Umgangsformen gibt. Mit diesen Aktionen reagiert die Firma auf die Tatsache, daß für den Nachwuchs im IT-Bereich das Geld als alleiniges Auswahlkriterium für eine Jobentscheidung längst ausgedient hat. Spaß haben und – bspw. über Aktienoptionen – am unternehmerischen Risiko teilhaben stehen inzwischen weitaus höher im Kurs.

Ehemalige Mitarbeiter sind aus Sicht der Gartner Group potentielle Mitarbeiter von morgen. Die Marktforscher aus Stamford (Connecticut) prognostizieren, daß Firmen durch den Mangel an Fachkräften im IT-Bereich dazu gezwungen werden, mehr und mehr auf ehemalige Mitarbeiter zurückzugreifen. Gartner geht davon aus, daß 2003 etwa 60% der großen und mittleren Unternehmen routinemäßig Wiedereinstellungen betreiben um die interne Nachfrage an Fachkräften zu befriedigen, die Zeit für den Recruitingprozeß zu verkürzen und den Wissensabfluß aus dem Unternehmen zu minimieren. Auch für diesen Zweck kann das Internet effektiv genutzt werden. So schlägt Gartner in einer aktuellen Pressemitteilung vor, den Kontakt mit ehemaligen Mitarbeitern aktiv zu suchen und sie mit aktuellen Informationen zu versorgen. Neben dem Angebot von Teilzeitverträgen würde insbesondere die Bildung von Communities, in welchen ehemalige und zukünftige Mitarbeiter die Möglichkeit haben, Kontakte zu knüpfen und aktuelle Entwicklungen im Unternehmen mitzuverfolgen, Sinn machen. Es ist naheliegend, für die Kontaktaufnahme bzw. die Communities die Möglichkeiten des Internet zu nutzen, was dem Thema Online-Recruiting eine neue Facette hinzufügt.

Fazit:
Das große Potential des Online-Recruiting wird heute bestenfalls in Ansätzen genutzt. Gerade auch bei den Online-Auftritten der Unternehmen herrscht im Bereich der Stellenangebote und Personalgesuche noch ein enormer Verbesserungsbedarf, auch und gerade was die zeitnahe Bearbeitung von Bewerbungen betrifft. Gute Aussichten auf neues und geeignetes Personal haben diejenigen Unternehmen, die auf innovative Ansätze in der Ansprache der potentiellen Kandidaten setzen. Die Wahrnehmung solcher „Aktionen“ ist weitaus größer, als das bloße Einbinden von Stellenanzeigen in die eigene Online-Präsenz. Mittel- bis langfristig gilt es, die Möglichkeiten des klassischen Recruiting mit denen des Online-Recruiting sinnvoll zu verbinden. Nicht umsonst werben Online-Recruiting-Pioniere wie Stepstone oder DV-Job auch in Printmedien wie der Zeitschrift c´t.

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