Krieg der Wallets

Kennen Sie digitale Brieftaschen, die so genannten ‚Wallets‘? Wenn nicht, sind Sie nicht allein: nach einer Untersuchung von BizRate.com im vergangenen Jahr haben auch rund 58 Prozent der US-amerikanischen Online-Shopper noch nichts von Wallets gehört. Nur etwas mehr als ein Viertel der 6.800 Internetnutzer, die während ihres Online-Shoppingtrips befragt wurden, konnten mit dem Begriff etwas anfangen.

Dabei scheint die ganze Sache auf den ersten Blick recht simpel: Ein Wallet übernimmt in der digitalen Welt ganz genau wie die traditionelle Brieftasche zunächst eine Aufbewahrungsfunktion. Hier können Kreditkartennummern und Ablaufdaten, Lieferadressen und manchmal auch Einkaufsquittungen, Benutzernamen oder Passwörter gespeichert werden. Eine nützliche Einrichtung, aber warum sollten Online-Händler sich darum kümmern? Schließlich interessiert es im traditionellen Geschäftsleben auch kaum einen Geschäftsinhaber, ob seine Kunden ihre Geldscheine und Karten lose in der Hosentasche, in einer ledernen Brieftasche oder in einem Plastikbeutel bei sich tragen – Hauptsache, sie kaufen und zahlen.

Genau das Bezahlen ist aber der kritische Punkt. Da machen die häufig berechtigten Sicherheitsbedenken ebenso Probleme wie die umständlichen Prozeduren und die Formulare, die die Kunden ausfüllen müssen. Mehr als ein Viertel der Online-Shopper bricht den Einkauf ab, weil die Formulare zu kompliziert sind, berichtet eine Studie von Jupiter Communications Eine Untersuchung der Top Ten Online-Shops in den USA von Creative Good kommt zu noch alarmierenderen Zahlen: insgesamt 39 Prozent der versuchten Online-Einkäufe schlagen aus dem einen oder anderen Grund fehl. Und dabei belegt ein Report von Dataquest, dass für die Kunden der bequeme Einkauf in den meisten Fällen wichtiger ist als der günstige Preis. In der Konsequenz sollten sich also alle Online-Händler Gedanken darüber machen, wie ihre Kunden so sicher und so einfach wie möglich bezahlen können, denn sonst sind auch die Investitionen ins Marketing, die Shopgestaltung u.a. vergeblich.

Die erste Generation
In der Tat gehen Experten davon aus, dass die komplizierte Natur der Online-Transaktionen ein wesentlicher Hinderungsgrund ist, der der Ausschöpfung der Potentiale des E-Commerce im Wege steht. Vor diesem Hintergrund werden Wallets, die es den potentiellen Kunden ermöglichen, ihre finanziellen Informationen und ihre persönlichen Vorlieben sicher und zur einfachen Verwendung zu speichern, auch für die Online-Händler ein wichtiges Thema. Nicht nur InternetStart-ups, wie Brodia oder Entry Point ,auch die großen Akteure wie AOL, Amazon , IBM und Microsoft haben die Bedeutung schon seit langem erkannt und bieten verschiedene Lösungen an. Dabei haben sie aus den Fehlschlägen der Vergangenheit gelernt: in der Regel waren die meisten früheren Versuche nicht zuletzt deshalb Flops, weil sie auf seiten der Händler umfangreiche Anpassungen der Abwicklungsprozesse erforderten. Und auch die Konsumenten waren nicht zufrieden mit den Leistungen der elektronischen Brieftaschen. „Das Konzept der elektronischen Wallets existiert schon seit einigen Jahren, aber die Akzeptanz der Konsumenten war gleich Null“, formuliert es Blaine Mathieu von Dataquest. „Die ersten Wallets stellten nicht den Einkaufsprozess in den Mittelpunkt; sie konzentrierten sich zu sehr auf die Probleme der Händler.“
Mit den Wallets der nunmehr schon zweiten Generation soll nun der Durchbruch gelingen. Dabei scheinen sich die Anbieter weitgehend einig darin, dass sie es den Kunden ebenso wie den Händlern so einfach wie möglich machen müssen. Weder umfangreiche Software-Downloads noch komplizierte Modifikationen am Online-Shop sind hier gefragt. Der Trend scheint in Richtung auf die sogenannten „Thin-Clients“ oder „Server-Side-Approaches“ zu gehen, bei denen die Daten zentral auf dem Server des Anbieters verwaltet werden.

Mit einem Click bezahlen
Wie so häufig, setzt Amazon auch hier mit der „1-Click“-Technologie Maßstäbe: Einmal die Daten eingeben und jede weitere Bestellung ist mit einem Click bezahlbar. Mit dem Amazon Payment Service bezieht sich das nicht mehr nur auf das Angebot von Amazon selbst, sondern die 1-Click Bestellung ist auch in den zShops unter dem Dach von Amazon möglich. Gerade für kleinere oder neue Online-Händler eine interessante Alternative, denn für 60 US-Cent pro Transaktion plus 4,75 Prozent des Einkaufswerts übernimmt Amazon die vollständige Abwicklung der Bezahlung.
Die meisten der führenden E-Commerce-Sites, so z.B. auch Yahoo!, bieten mittlerweile ähnliche proprietäre Lösungen an. Das Yahoo! Wallet unterstützt den Einkauf der Kunden bei den über 5.500 Händlern, die hier ihre Shops eingerichtet haben. Nach Angaben von Yahoo! sind mit dem Wallet und dem integrierten Express Checkout Feature über 3,75 Mio. Produkte bequem zu kaufen. Auch AOL setzt mit dem von Netscape entwickelten Quick-Checkout auf die Wallet-Technologie. Bis zu 10 unterschiedliche Kreditkarten und 50 Auslieferungsadressen lassen sich in den Geschäften des Shop @ AOL Marktplatzes nutzen. Für Händler wie Kunden ist das System kostenlos. Die Vorteile dieser im Prinzip site-basierten Wallets entsprechenden Zahlungsabwicklung liegen auf der Hand: Sie stärken die einmal entwickelte Vertrauensbeziehung zwischen Kunden und Händler ebenso, wie sie die Kundenbindung erhöhen. Nach Einschätzung der Experten von Jupiter Communications werden site-basierte Wallets für die nächsten zwei bis vier Jahre die am weitesten verbreitete Lösung darstellen.

Ein Wallet für alle
Ein Problem bleibt allerdings bei diesen proprietären Lösungen ungelöst – die Kunden benötigen unterschiedliche Wallets (beziehungsweise Passwörter) für unterschiedliche Sites. Im Prinzip könnte der ECML-Standard hier Abhilfe schaffen, denn der neue Stern am Business-Himmel ermöglicht einen problemlosen Datenaustausch jedes beliebigen Wallets mit jedem beliebigen Online-Shop – wenn sie dem ECML-Standard entsprechen. Und das scheint nicht im Sinne einiger großer Anbieter zu sein. So ist nach Angaben von Rene Pelegero, verantwortlich für Amazons Payment Service, der Einsatz einer ECML-kompatiblen Lösung anstelle des 1-Click-Ordering-Systems nicht geplant. Aber so schnell geben andere Schwergewichte den Kampf um die Brieftaschen nicht verloren. Prominente Beispiele für Multi-Site-Wallets geben z.B. der „Passport“ von Microsoft oder das Consumer Wallet von IBM.
Ein genauerer Blick auf die Multi-Site-Wallets ist dennoch nötig, denn der ECML-Standard macht nicht alle Unterschiede hinfällig. So ist das IBM Consumer Wallet eine Lösung, mit der die Kreditkarteninformationen auf dem Desktop des Anwenders gespeichert werden. Sicher natürlich, denn nach IBM-Angaben unterstützt das System „Pro Buyer“ automatisch die Bezahlung nach dem höchsten Sicherheitsstandard, den der jeweilige Händler anbietet. Dabei ist die IBM-Entwicklung Pro Buyer auch zu den Sicherheitsstandards SSL und SET kompatibel. Und ein starker Partner, der für die nötige Verbreitung sorgen kann, ist ebenfalls im Boot: Mastercard . Das Kredikartenunternehmen stellt den Mitgliedsbanken und Partnerorganisationen eigene Versionen des Wallet zur Verfügung, darunter auch Europay International, so dass auch Nutzer der europäischen Eurocard-Mastercard das Consumer Wallet nutzen können. Brian Morris, Electronic Commerce Manager bei Europay International bringt es auf den Punkt, „Das Wallet gibt Banken und Händlern ein hervorragendes Instrument, ihre Geschäftsaktivitäten zu erweitern“. Aber ist es auch das, was die Konsumenten wollen?
Flexibel ist dieses Wallet nicht, es wird fest auf einem Computer installiert. Eine ähnliche stationäre Lösung bietet Cyber Cash (Sie finden nähere Informationen im ECIN Artikel Cyber Cash – sicheres Bezahlen im Internet ), hier werden aber zusätzlich alternative Zahlungsarten, wie Cyber Coins und Electronic Direct Debit ermöglicht. Muß man also entweder den Computer als wahrlich überdimensionale Brieftasche mit sich herumtragen oder das Online-Shopping nur auf einen Rechner beschränken? Kein bequemer Einkauf vom Arbeitsplatz aus – während der Mittagspause natürlich? Gerade die Impuls-Käufer sind doch für viele Online-Händler eine wichtige Zielgruppe. Und als Mehrwert erhalten die Kunden Bannerwerbung von Banken? Da fahren andere Anbieter von Multi-Site-Wallets kundenfreundlichere Geschütze auf.

Ein Ausweis fürs Online-Shopping
Microsofts Passport ist eine elektronische Brieftasche, in der neben den Kreditkartendaten Anschriften und persönliche Vorlieben notiert werden können. Auch die Informationen, die für Passwort-geschützte Sites notwendig sind, finden im integrierten Service „Single Sign-In“ ihren Platz. Die Daten werden stark verschlüsselt auf Microsoft eigenen Servern gespeichert. Kauft der Passport Wallet Inhaber bei einem angeschlossenen Händler ein, kann er über einen speziellen Passport Wallet Button oder Link eine SSL-gesicherte Verbindung zum Microsoft Wallet Server aufbauen, dort eine seiner Kreditkarten, Liefer- und Rechnungsadressen auswählen und sich wiederum über eine SSL-Verbindung im ECML-Format in das Händlerformular eintragen lassen. Weder der Einkaufspreis noch die gekauften Produkte sollen Microsoft nach Angaben des Unternehmens bekannt werden. Für die Kunden stellt sich bei dieser Lösung die Vertrauensfrage. Für die Händler ist die verschärfte Konkurrenz wichtig. Denn die persönlichen Informationen, die die Surfer und Online-Shopper in ihrem Passport sammeln und zur Verfügung stellen, nehmen sie auch wieder mit – möglicherweise zum preisgünstigeren Wettbewerber.
Das ist noch nicht alles vom Kriegsschauplatz „Wallets“. Zwar sind die Lösungen in Europa (noch) nicht verbreitet, aber in den USA versuchen verschiedene InternetStart-ups ihre „intelligenten Begleiter“ zu positionieren. Brodia bezeichnet die Anwendung als ‚Smart Shopping Assistant‘, mit der Einkaufslisten ebenso verwaltet werden können wie spezielle Angebote von angeschlossenen Online-Händlern. EntryPoint liefert zusätzlich Nachrichten und Informationen – das neue Unternehmen ist ein Merger des erfolglosen Pushdienstes Pointcast und eWallet. Einen ‚Smart Online Companion‘ bietet Gator an, nach Nielsen Netratings mit über einer Million Downloads seit Juni 1999 einer der wichtigsten Akteure in der Wallet Arena. The Standard listet Gator als eine der zehn Companies, die man im Jahr 2000 besonders aufmerksam beobachten sollte. Diese Aufmerksamkeit rührt wohl aus den Zukunftsplänen: Sowohl als Junk-Mail-Filter wie als Schnäppchenfinder soll der Smart Online Companion tätig werden. Dazu sammelt Gator einiges an Informationen über seine Kunden: Die auf dem persönlichen Computer installierte Software sendet jedesmal Daten, wenn sie benutzt wird. Zwar sind Kredikartennummern und Passwörter Gator nicht bekannt, aber das Unternehmen weiss, wann und wo eingekauft wurde.
Ohne Zweifel ist die Situation unübersichtlich. Halten wir uns deshalb an den schon fast geflügelten Spruch der Experten: Wenn man im Zusammenhang mit Wallets von Durcheinander spricht, liegt man nicht daneben. Die Quintessenz für kleine und mittlere Online-Händler liegt auf der Hand. Auf der sicheren Seite sind Online-Händler, die ihre Formulare ECML-kompatibel ausrichten, aber darüber hinaus dennoch nicht vergessen, den gesamten Online-Shopping-Prozess für die Kunden so einfach, bequem und sicher wie möglich zu gestalten. Same Procedure as every Year!

Hier finden Sie eine Übersicht einiger Wallet-Anbieter
Microsoft
Partner: Keine Vereinbarung mit Banken oder Kreditkartenanbietern
Produkt: Passwort Wallet: Einmalige Kreditkarten-, Adressen- und Passwortspeicherung. Der Kunde kann zudem sein eigenes Wallet erstellen. Die Kundeninformation wird auf dem Passwort- und Wallet-Server gespeichert
Kosten: Das System hat ein fünfstufiges Gebührensystem mit jährlicher Abrechnung. Rechnungsgrundlage ist die durchschnittliche monatliche Besucherzahl
Händler: CDW Computer Centers (CDWC), Food.com, Expedia, MSN Hotmail, MSN MoneyCentral und Skymall.com u.a.

IBM
Partner: Mastercard, Sparkassen Finanzgruppe
Produkt: IBM Consumer Wallet: Einmalige Eingabe der Kreditkarteninformation. Consumer Wallet unterstützt ECML für die kaufmännische Datenerfassung
Kosten: Das Preissystem ist auf den einzelnen Klienten zugeschnitten, so daß monatliche Gebühren zwischen mehreren Tausend Dollar und mehrere Millionen Dollar anfallen
Händler: Keine Angaben

Brodia
Partner: MNBAwallet, Capital One, Aria/Visa, angekündigt: Wells Fargo
Produkt: Brodia Remote Control Shopping ist ein auf die individuellen Wünsche modifizierbarer Shopping-Assistent, der das Bestellen vereinfacht, den Warenempfang und die Geschäftspost verfolgt und nach reduzierter Ware im Netz sucht
Kosten: Der Standardservice ist für Händler und Banken kostenlos
Händler: Barnesandnoble.com, Dell, Disney.com, Drugstore.com, E-Trade, Gap Online, Jcrew.com, OfficeMax (OMX, Priceline.com, Travelocity.com u.a.

CyberCash
Partner: First USA
Produkt: InstaBuy präsentiert sich selbst als eine „one-click-shopping software“ und wird an Geldinstitute, Portale und Händler verkauft. Die Kundeninformation wird auf dem InstaBuy-Server gespeichert. Das System wird in die bestehende Web-Storefront eingebunden
Kosten: Einrichtungsgebühr: $299Monatliche Mindestgebühr:$49 +gestaffelt monatliche Transaktionsgebühren
Händler: FreeMac.com, Impulse BuyNetwork, MBNA (KRB) und Skymall.com, Cyberian Outpost, Toy Smart, Borders.com, iVillage u.a.

Gator
Partner: NextCard, Internet Visa
Produkt: Gator stellt einen Online-Begleiter bereit, der Hilfestellung beim Ausfüllen von Online-Bestellungen gibt und Passwort, Kennwort sowie Kreditkartennummer speichert. Das System arbeitet automatisch mit 5000 Seiten, dessen Einkaufsformular Gator kopiert hat. Kunden können Informationen zu jedem web-basierten Formular mittels „drag-and-drop“ verschieben
Kosten: Kostenlos
Händler: Gator hat keine Handelspartner, da sein Wallet direkt an die Konsumenten abgegeben wird

EntryPoint
Partner: Cobranding mit NextCard
Produkt: eWallet: Das System kann von der Seite des Anbieters heruntergeladen werden und wird auf dem PC des Konsumenten installiert. Das eWallet ist Teil des EntryPoint Informations- und Shopping-Service (früher Point Cast). eWallet unterstützt alle Shop-Seiten, auch wenn sie keine entsprechende Software in ihr System integriert haben
Kosten: Kostenlos; Händler können einen Beitrag zahlen und werden dann im EntryPoint-Shopping-Channel gelistet

VeriFone
Partner: Bank of America und Wells Fargo
Produkt: VeriFone: Die Software ist eine Nachfolgesoftware von vWallet, die direkt an die Konsumenten verkauft wurde. Transaktionen werden mittels SET-Protokollen realisiert
Kosten: VeriFone veröffentlicht keine Preise
Händler: Keine Angaben

AOL
Partner: Keine Vereinbarung mit Banken oder Kreditkartenanbietern
Produkt: Quick Checkout: Die Software ermöglicht dem Benutzer die Verwaltung von bis zu 50 Versand- und 10 Kreditkartennummern. Händler müssen die von AOL gelieferte Software installieren, um mit dem Wallet arbeiten zu können
Kosten: Kostenlos
Händler: American Greetings (AM), Beyond.com, Bluefly, Fogdog Sports, JCrew.com, Red Rocket und Virtual Vineyards u.a.

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