Auf die Performance-Marketing-Agenturen kommen massive Veränderungen zu. Julius Ewig, Geschäftsführer, und Meike Hoenemann, Managing Director, bei der metapeople GmbH in Duisburg, wagen den Blick in die Glaskugel. Die Agentur ist Teil der netzwerkunabhängigen, börsennotierten NetBooster-Gruppe mit Sitz in Paris. In der täglichen Arbeit für Kunden wie Deutsche Telekom, Metro, Lufthansa, Deichmann, Ibis Hotels, Europcar, Ulla Popken, DEVK und vielen anderen haben sie sieben aktuelle Trends identifiziert.
Trend 1: Es gibt kein Zurück mehr vom Programmatic Advertising
Über Programmatic Advertising wird in anderen Märkten bereits seit über vier Jahren diskutiert, in Deutschland erreicht die Echtzeit-Steuerung von Marketing-Maßnahmen mit Hilfe von sich selbst optimierenden Algorithmen aber erst 2016 den Mainstream. Zu schlecht war bisher die Datenqualität, zu groß die Angst der Vermarkter vor Preisdumping und dem Image einer Resterampe. Inzwischen haben diese aber gemerkt, dass sich sehr oft sogar höhere Preise durch Programmatic Advertising erzielen lassen. Das Targeting auf Basis mathematischer Regeln sorgt für mehr Relevanz und dadurch höhere Gebote. Dabei fließen noch weitere Faktoren wie Erkenntnisse aus der Onsite-Analyse ein.
Von daher kann mittlerweile – mit Ausnahme weniger Leuchttürme im Games- oder Magazin-Bereich – auch in Deutschland fast jede Online-Anzeige automatisch gebucht werden. Für den Werbetreibenden bedeutet das, dass sich seine Kampagnen noch intelligenter und effizienter steuern lassen. Die Werbebotschaften erreichen automatisch den Adressaten, für den sie bestimmt sind – ganz ohne Streuverluste. Das komplexe Verfahren, bei dem in Bruchteilen von Sekunden die gesammelten Informationen abgeglichen und ausgewertet werden, lässt sich um Real-Time-Daten aus sogenannten Data Management Plattformen (DMP) ergänzen, die wiederum Informationen aus anderen Quellen bündeln.
Ein Schuhhändler erreicht heute über Programmatic Advertising mit seiner Gummistiefel-Werbung am Sonntag bei schlechtem Wetter ziemlich genau seine männliche Zielgruppe im Alter von 20 bis 30 Jahren. Und genau die, so die Analyse des Kaufverhaltens, zu diesem Zeitpunkt dieses Produkt besonders oft bestellt. Ähnlich wie heute an der Börse nur noch elektronisch in Echtzeit gehandelt und das Faxgerät dort keine Rolle mehr spielt, ist auch der Trend zum Programmatic Advertising unumkehrbar. Es gibt kein Zurück mehr.
Trend 2: Facebook verändert mit Search FYI die SEO-Landschaft
Bis 2020 wird sich das weltweite Datenvolumen auf 44 Billionen Gigabyte verzehnfachen. Ohne Echtzeitdaten in hoher Qualität geht schon heute kaum noch etwas im Online-Marketing. Aber wie lassen sich aus der exponentiell wachsenden Datenflut sinnvolle Erkenntnisse für das Marketing gewinnen? Wurde in den letzten Jahren vor allem das Schlagwort „Big Data“ bemüht, setzt sich nun zunehmend die Erkenntnis durch, dass es nicht auf die schiere Masse der Informationen ankommt, sondern auf deren Relevanz und die intelligente Auswertung.
2016 wird deshalb das Jahr von „Smart Data“. Exakte Analysen von aufbereiteten und aggregierten Kundendaten werden helfen, zu den Goldadern des Data Driven Advertising vorzustoßen. Und dabei wird aus großen, konsistenten Datenmengen („Big Data“) mit Hilfe geeigneter Tools Wissen extrahiert, um daraus wiederum aktive Handlungen und Mehrwerte abzuleiten („Smart Data“). Eine neue Qualität wird dieses Thema im 1. Quartal 2016 erlangen, wenn die neue Facebook-Suche Search FYI weltweit über 2 Billionen öffentliche Posts zugänglich macht und die User diese neue Funktion auch in Deutschland annehmen. Denn schon heute werden täglich über 1,5 Milliarden Suchanfragen bei Facebook gestellt. Die Ergebnisse einer Suchanfrage werden deutlich personalisierter sein, als eine Suche über Google. Search FYI („For your information“) präsentiert die Ergebnisse jeweils in einer eigenen Hierarchie. An erster Stelle sollen Beiträge von Medien stehen, dann Postings von Freunden und zum Schluss Beiträge von fremden Personen. Welche Konsequenzen das für Suchmaschinenoptimierung, Suchmaschinenmarketing oder die Sichtbarkeit von Unternehmens- und Markenbotschaften haben wird, ist noch unklar. Aber die Datenflut steigt auf jeden Fall noch rasanter an.
Trend 3: Die Kundendaten gehören nicht den Marketingagenturen
Wenn man über Programmatic Advertising und Smart Data spricht, muss man meist schnell die Frage nach Transparenz und Datensicherheit beantworten. Nachdem der Europäische Gerichtshof die EU-Kommissionsentscheidung zu Safe Harbor für ungültig erklärt hat, ist 2016 für viele Unternehmen ein massives Umdenken in punkto Datenschutz angesagt. Alle Datentransfers in die USA, die allein auf das Gelten dieser Regeln gestützt werden, sind nun illegal.
Das hat dramatische Folgen für Unternehmen, die Online-Marketing-Tools aus den USA einsetzen oder Cloud-Dienste auf amerikanischen Servern nutzen – insbesondere im Umfeld von Analytics, Kundendaten, E-Mail Marketing oder Marketing Automation. Die amerikanischen Dienstleister und ihre deutschen Kunden müssen nun schnell reagieren und rechtmäßige Alternativen zu Safe Harbor suchen oder man baut sich als deutsches Unternehmen gleich eine eigene Demand Side Platform (DSP) und Data Management Platform (DMP) als Infrastruktur für das datengetriebene Marketing auf.
Eng damit im Zusammenhang steht die Frage, wem die großen Mengen an Kundendaten denn gehören: Dem werbetreibenden Unternehmen oder der Agentur, die damit arbeitet? 2016 wird das Jahr der Transparenz. Die zentrale Gesamtsicht auf die eigenen Daten, Kampagnen und Entwicklungen gewinnt für die Auftraggeber an Bedeutung und sie verlangen deshalb die Hoheit über ihre Daten (zurück). Wenn mit dem Budget des Kunden Daten und Erkenntnisse gewonnen werden, dann gehören diese exklusiv ihm – auch nach der Trennung von einer Performance Marketing-Agentur.
Trend 4: Bei Cross-Device-Strategien wird die Tracking-Lücke immer größer
Mobile ist 2016 kein Trendthema mehr, sondern normaler Alltag. Auf vielen Websites kommen inzwischen 70 bis 80 Prozent des Traffic über mobile Endgeräte. Mobil optimierte Internet-Auftritte sind deshalb nicht erst seit den Algorithmus-Änderungen bei Google („Mobilegeddon“) eine zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Suchmaschinenoptimierung. Aber das ist erst die Spitze des Eisbergs.
Laut einer Studie von Cisco soll in den USA bis zum Jahr 2017 jeder User bis zu fünf Internetzugänge über unterschiedliche Devices nutzen. Das bringt bereits 2016 für die Werbetreibenden eine erhebliche Tracking-Lücke mit sich. Denn Marketingverantwortliche wissen bei Cross-Device-Kampagnen meistens nicht, über welchen Kanal ein Nutzer auf ein Angebot aufmerksam wurde. Geschweige denn, welche Werbebotschaften und Anzeigen überhaupt einen Beitrag in der Customer Journey geleistet haben und wie viele Endgeräte ein User tatsächlich nutzt. Auch Cookies sind hier oft keine Hilfe, da ein Großteil der mobilen Endgeräte Third Party Cookies nicht unterstützt bzw. diese aufgrund von Privacy-Einstellungen blockiert werden oder nicht ausgeliefert werden können.
Hier helfen heute nur Login-Daten, etwa bei Facebook oder Google, über die ein Nutzer zweifelsfrei erkannt werden kann. Die anhaltenden Datenschutz-Debatten über Cookies sollten 2016 positiv gelöst werden. Denn mögliche Alternativen, wie z.B. Fingerprints oder das geräteübergreifende Nutzer-Tracking mit Hilfe von hochfrequenten Tönen („Sound-Beacons“), sind unter Privacy-Gesichtspunkten deutlich fragwürdiger. Die im Bereich des Cookie-Tracking entwickelten Mechanismen sollten ausreichen, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen und zu bestätigen. Die technischen Herausforderungen beim Cross-Device-Tracking müssen allerdings 2016 angegangen werden.
Trend 5: Gegen nervende Online-Werbung hilft Native Advertising
Onlinewerbung nervt heute viele Menschen und Adblocker bedrohen zunehmend das Geschäftsmodell der Medien. Die Leser fühlen sich vom Re-Targeting, ungefragt startenden Videos und Fullscreen-Bannern verfolgt und belästigt – besonders auf mobilen Endgeräten, auf denen Banner den schnellen Aufbau einer Website stören und Interstitials sich über den Content legen. Werbeblocker sind zum Massenphänomen geworden, die Nutzerzahlen von Adblock Plus gehen durch die Decke und nun bietet auch noch der Firefox-Browser den Anwendern mit nur einem Klick ein werbefreies Surferlebnis.
Die Reaktion der werbetreibenden Wirtschaft und ihrer Agenturen darauf kann nicht in juristischen Scharmützeln, Beschimpfungen der Kunden oder technischen Kleinkriegen bestehen, sondern nur darin, bessere Werbung zu machen. Neue Werbeformate, die den User weniger stören, werden sich 2016 weiter durchsetzen. Native Advertising – also gekennzeichnete Werbung, die optisch und inhaltlich zu den redaktionellen Inhalten passt – kann die Bindung zur beworbenen Marke, ihr Image und die Kaufabsichten positiv beeinflussen. Laut verschiedener Studien vertrauen fast drei Viertel der Konsumenten informierenden Inhalten von Unternehmen. Doch fällt dieses Vertrauen um dramatische 29 Prozent, wenn der Content plumpe Eigenwerbung enthält.
Deshalb müssen Native Ads nicht nur in Form und Funktion zum redaktionellen Umfeld passen, sondern dem Nutzer auch relevante Inhalte und den passenden Mehrwert liefern – sei es Hilfestellung, Information oder Unterhaltung. In Deutschland stehen wir mit dieser neuen, nicht standardisierten Werbeform erst am Anfang. Umso begrüßenswerter ist es, dass der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. den „Typus Native Advertising“ bereits in einem Reader in Abgrenzung zu anderen Formen kommerzieller Kommunikation beschreibt und charakterisiert. Dabei nimmt er auch eine rechtliche Einordnung vor, denn die Akzeptanz von Native Advertising wird zwar 2016 deutlich zunehmen, aber nur wenn diese Art der Werbung nicht als „Trojanisches Pferd“ daherkommt und versucht, den Verbraucher bewusst zu täuschen.
Trend 6: Hyperpersonalisierung wird den Kunden zu teuer
Auch über die Personalisierung von Webinhalten und Werbung wird schon seit Jahren gesprochen. Inzwischen sind die Daten, Analysewerkzeuge und geeignete Targeting-Technologien vorhanden, damit sich dieses Thema auf breiter Front durchsetzen kann. Mit Behaviour Analytics lassen sich noch nie dagewesene Einblicke in das Verhalten und die Wünsche der Kunden gewinnen. Doch solche vorhersagende Analysen („Predictive Analytics“), die ohne Zweifel ein wichtiger Trend für 2016 sind, bergen ein entscheidendes Risiko: Die auf dieser Basis ausgespielte Werbung – etwa bei Retargeting-Kampagnen – kann den Adressaten ganz schnell erheblich stören.
Denn vielleicht hat er die weißen Sneakers, die ihm immer wieder angepriesen werden, inzwischen schon längst anderswo gekauft oder er will jetzt angesichts veränderter Wetterbedingungen doch lieber schwarze Stiefel? Hyperpersonalisierte Werbung erreicht so unter Umständen genau ihr Gegenteil und je spezieller das Targeting ist, umso teurer wird zudem die Anzeige. TKPs von über 10 Euros sind hier keine Seltenheit mehr und breiter angelegte Kampagnen, die das 10fache an Reichweite erzielen aber pro Kontakt weniger kosten, stellen sich am Ende als effizienter heraus.
Ein weiterer Nachteil: Mit superindividualisierten dynamischen Werbemitteln lassen sich kaum Neukunden gewinnen. Und auch bestehende Käufer wollen sich vielleicht lieber von einer kreativen Werbung überraschen und auf neue Shopping-Ideen bringen lassen, als nur ihren vermeintlichen Wunsch von den Augen abgelesen bekommen. Deshalb: Lieber eine gute Geschichte erzählen („Storytelling“) und nicht nur auf die Macht der Zahlen vertrauen.
Trend 7: Das Internet of Things verändert die Spielregeln im Marketing
Das Internet of Things (IOT) war schon 2015 ein Trendthema und wird uns sicher noch viele Jahre beschäftigen. Noch ist diese Technologie nicht ausgereift und weit verbreitet. Aber wenn erst einmal das Auto, der Kühlschrank oder die Hausbeleuchtung mit dem Internet verbunden sind, gibt es vielfältige neue Ansätze für das Digital Marketing. Im Jahr 2020 sollen laut Prognosen weltweit mehr als 26 Milliarden vernetzte Dinge unseren Alltag beherrschen und ohne den Umweg über ein von Menschen bedientes Endgerät – z.B. Smartphone, Tablet oder PC – miteinander kommunizieren.
Fitness-Armbänder und Smartwatches übermitteln automatisch Gesundheitsdaten. Der Kühlschrank bestellt selbstständig die fehlende Milch nach. Und das vernetzte Auto macht bei entsprechendem Kilometerstand alleine einen Wartungstermin in der Werkstatt aus. Da die Konsumenten dadurch in ständigem Kontakt mit Marken sind und sie in einem natürlichen Umfeld nutzen, erhalten Brands bei einer guten Umsetzung eine enorme Aufwertung. Denn mit den massenhaft gewonnenen Nutzerdaten ist ein besseres Verständnis vom Kunden möglich und der Service lässt sich permanent optimieren.
Auch für das Predictive Marketing gibt es ungeahnte Chancen: Durch den extrem hohen Grad an Personalisierung lässt sich genau analysieren und ableiten, was der Kunde als nächstes höchstwahrscheinlich brauchen wird, bevor er es selber weiß. Wenn ausschließlich Werbung für Produkte ausgespielt wird, die wegen des absehbaren Bedarfs einen wirklichen Nutzen haben, hat das für den Verbraucher einen hohen Mehrwert. Aber es entstehen auch völlig neue Herausforderungen für das Marketing: Wie legt etwa der Kühlschrank fest, wo er die fehlende Milch bestellen soll? Nutzt er neuartige Spezial-Preissuchmaschinen, um den günstigsten Lebensmittel-Onlinehändler zu finden? Oder ordert er einfach bei Amazon?
Welche Rolle spielen Portale, um die vernetzten Geräte ohne eigenes Display zu steuern? Hinter den Kulissen tobt bereits der Krieg um diesen neuen permanenten Kundenzugang und Apple, Google, Amazon, Facebook & Co. bringen sich in Stellung, um daraus als Sieger hervorzugehen. Das Internet of Things hat das Potenzial, klassische Business-Modelle zu zerstören und Märkte komplett zu verändern. Vielleicht nicht schon im Jahr 2016, aber bestimmt mittel- bis langfristig.
Und was ist Ihre Meinung? Sind das die wichtigen Trends? Oder gibt es noch ganz andere?