IPTV – die nächste TV-Revolution steht bevor: Der Fernsehzuschauer wird zum Fernsehnutzer

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Über 20 Jahre nach Einführung der ersten deutschen Privatsender steht die deutsche Fernsehlandschaft erneut vor einem Umbruch. Internet Protocol Television (IPTV), eine breitbandige IP-Verbindung, über die multimediale Inhalte wie Fernsehprogramme und Filme bereitgestellt werden, läutet das Ende des klassischen, linearen Fernsehens ein. Vor allem bei den jüngeren Nutzern (ehemals „Zuschauern“) steigt das Bedürfnis nach individuellen und interaktiven Angeboten, dem das Fernsehen in seiner traditionellen Form nicht gerecht werden kann.

Die langfristigen Potenziale dieser neuen Technologie sind enorm und rufen entsprechend zahlreiche Unternehmen auf den Plan. Wer dabei das Rennen machen wird muss sich noch zeigen. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht mehr, denn der Zuschauer avanciert derzeit zu seinem eigenen Programmdirektor.

Herausforderung IPTV

Die technologischen Voraussetzungen in Form einer Breitband-Infrastruktur sind in den meisten europäischen Ländern bereits gegeben. Trotzdem muss IPTV auf dem Weg zum Massenphänomen noch einige Hürden nehmen. So besteht nach wie vor – vor allem bei der älteren Generation – ein hoher Bedarf an vorstrukturierten Inhalten. Zudem zeichnet sich, analog zur Entwicklung in der Musikindustrie, ein urheberrechtlicher Interessenkonflikt zwischen den klassischen Fernsehsendern und Hollywood-Studios einerseits und innovativen IPTV-Anbietern andererseits ab, wenn proprietäre Programmteile oder ganze Kanäle plötzlich über das Internet frei zugänglich werden.

Deutschland – ein Sonderfall

Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich steckt die Entwicklung des Breitband-Internets und der Verfügbarkeit von IPTV-Angeboten in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Der beginnende Preisverfall bei der DSL-Bereitstellung leistet der Entwicklung nun aber großen Vorschub: Die Breitband-Penetration wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahre von aktuell 29 Prozent auf rund 75 Prozent in allen deutschen Haushalten erhöhen. Damit einher geht aber nicht automatisch eine ebenso starke Durchdringung des deutschen Marktes mit kostenpflichtigen IPTV-Inhalten. Aktuelle Marktstudien sprechen von bis zu 2,8 Mio. deutschen IPTV-Haushalten im Jahre 2010, was einer Penetration von etwa 7% entspräche. Ein wesentlicher Grund für die im internationalen Vergleich eher langsame Entwicklung liegt in der bislang (noch) nicht ausgeprägten Kultur für bezahltes TV in Deutschland. Aufgrund des breiten Spektrums frei empfangbarer Programme und der geringen Zahlungsbereitschaft für Premium-Programminhalte fristet das Bezahl-Fernsehen seit vielen Jahren ein Nischendasein in der deutschen Fernsehlandschaft.

Individualität siegt

Vor allem die ältere Generation der Fernsehzuschauer pflegt immer noch eher traditionelle Sehgewohnheiten mit vorstrukturierten Inhalten und linearem TV, was eine stabile TV-Nutzung in den letzten Jahren bestätigt. Anders verhält es sich jedoch in der dynamischeren Generation der 14- bis 29-Jährigen. Für sie verlieren klassische Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen immer mehr an Bedeutung, die Affinität dieser Zielgruppe zum Internet steigt jedoch weiter stark an.
Dies liegt in erster Linie an den jederzeit verfügbaren und breit gestreuten Inhalten, die im Internet publiziert werden und individuell abrufbar sind – je nach Interesse des Nutzers. Zum anderen bietet das Internet die geeignete Plattform, selbst Inhalte zu generieren und zu veröffentlichen, sei es durch legales oder illegales Video-Sharing oder multimediale Blogs (z.B. MySpace) und Podcasting (z.B. Current TV). Diese Möglichkeiten des Internets, gepaart mit der vorhandenen Breitband-Technologie und dem Wunsch der vornehmlich jungen User-Gemeinde nach Individualität, bilden die Basis für den zukünftigen Erfolg der IPTV-Industrie und den Rückgang des Broadcast-TVs.

Evolution multimedialer Angebote

IPTV auf dem Vormarsch

IPTV-Formate können diesen Trend nutzen, denn viele Programminhalte des klassischen Fernsehens sind in ihrer Formatierung zu starr. IPTV bedroht große Teile der heutigen, überwiegend rezeptiven Sendungsstruktur. Reguläre Nachrichten werden zukünftig durch den Fokus auf Aktualität und Individualisierung sehr viel weniger an einem festgelegten Programmplatz genutzt, sondern vielmehr bei Bedarf abgerufen. An die Stelle der bisherigen pauschalen Massenwerbung treten Zielgruppen-spezifische „Pay per View“-Inhalte. Auch die Informationsbeschaffung durch Reportagen, Magazine und Dokumentationen wird zukünftig sehr viel stärker eigeninitiativ – insbesondere bei Ratgeber-Formaten. Unterhaltung durch Spiel- oder Dokumentarfilme wird stark bedrängt von Filmabrufdiensten (Video-on-Demand) oder Inhalten, die der Nutzer selber erstellt (User generated Content). Zunehmende Bedeutung für das traditionelle Free-TV erhalten damit vor allem Sport-Übertragungen, Quiz-Sendungen sowie Game- und Talkshows mit einer noch stärkeren „Live-Komponente“ und einer deutlichen Ausweitung der Interaktivität bei Quiz- und Game-Shows.

Neue Ideen – neue Geschäftsmodelle

Die neuen Internet-basierten Möglichkeiten setzen dem Erfindungsreichtum kaum Grenzen und bringen im Zuge von „Web 2.0“ neue Geschäftsmodelle hervor. Bestes Beispiel dafür: „You Tube“. Das Video-Sharing-Portal stieg seit seiner Gründung im Februar 2005 kontinuierlich zu den 25 meistgenutzten Websites der Welt auf und wurde im Oktober 2006 vom Suchmaschinenbetreiber Google für 1,3 Milliarden Euro übernommen. Gemessen an ihrer Reichweite scheinen auch andere Anbieter von multimedialen Inhalten schon heute erfolgreich zu sein, wie Filmabrufdienste, zeitversetztes Fernsehen (Time Shift Television) – realisiert entweder über Hardware-Lösungen (z.B. TiVo, Akimbo) oder Software-basiert mit Datenhaltung im Internet (shift TV, save.TV etc.) – von Nutzern erstelltes TV oder elektronische Programmzeitschriften (Electronic Program Guides).

Auswahl multimedialer Online-Dienste

Ähnlich der Musikindustrie steht die IPTV-Industrie dabei aber auch vor massiven urheberrechtlichen Problemen. Anbieter von Online-TV-Recordern wie shift TV oder save.tv, die TV-Sendungen digital aufzeichnen und dem Kunden zum Download zur Verfügung stellen, befinden sich im Dauer-Rechtsstreit mit TV-Sendern. Das Beispiel der Musikindustrie zeigt jedoch, dass der juristische Kampf gegen neue Technologien allein auf Dauer nicht erfolgreich sein kann. Denn letzten Endes ermöglicht erst diese Technologie die Befriedigung real vorhandener Kundenbedürfnisse. Deshalb tun die TV-Sender gut daran, mit eigenen Angeboten zu kontern, wie dies jüngst die TV-Sender mit der Beteiligung an Video-Sharing-Sites oder dem Aufbau eigener Film-Download-Dienste versuchen. Wie eine kleine Auswahl der neuen Spieler zeigt, ist ihr Spektrum enorm, sie haben jedoch eines gemeinsam: Individualität und Interaktivität der Nutzung sind dem klassischen TV weit überlegen.

Wer gewinnt – Wer verliert?

Insbesondere die privaten TV-Sender werden durch finanzstarke Infrastrukturbetreiber zunehmend unter Druck gesetzt. So drängen die Festnetzbetreiber derzeit massiv in den Markt für Inhalte, um dem Umsatzverlust im Stammgeschäft entgegenzuwirken. Sie versuchen durch Triple-Play-Angebote gepaart mit exklusiven Inhalten ihre Kunden an sich zu binden. Die Kabel-TV-Anbieter zielen auf den Video-on-Demand-/Premium-Inhalte-Markt, da sie in Konkurrenz zu den bisher in Deutschland in der Nutzung kostenlosen TV-Infrastrukturen Satellit und DVB-T stehen. Wie die Festnetzbetreiber der Telekommunikation setzen auch sie massiv auf „Triple-Play“.
Von diesem Wettbewerb der Infrastrukturen und Angebote profitieren vor allem die Konsumenten, die zukünftig „anything – anytime“ geliefert bekommen. Die Rechteinhaber der Inhalte und Content-Produzenten profitieren von steigender Nachfrage durch neue Spieler und sinkenden Kosten durch direktere Distributionswege. Werbetreibende können sich freuen über eine bessere Adressierbarkeit ihrer Zielgruppen, verringerte Streuverluste der Werbung sowie eine exaktere Messung der Werbewirkung. Portale, Suchmaschinen und Electronic Program Guides (EPG) werden zukünftig noch stärker gefragt sein, Orientierung im zunehmenden Dickicht des „Mediendschungels“ aus mehreren Hundert Spartenkanälen und noch mehr Websites mit (mehr oder minder professionellen) Video-Diensten zu bieten. Als potenzielle Verlierer der neuen IPTV-Welt lassen sich jetzt schon die klassischen TV-Sender ausmachen, die ihr Meinungsmonopol verlieren und unter zunehmender „Verspartung“ leiden. Zwar stehen auch ihnen die neuen Möglichkeiten von IPTV offen, jedoch zeigen die Erfahrungen z.B. der Musik- oder Printindustrie, wie schwer es Medienunternehmen fällt, neben ihrem traditionellen Stammgeschäft auch neue, Internet-basierte und gar kannibalisierende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Rechtehändler verlieren ihre Geschäftsgrundlage bei stärkerer Direktvermarktung durch Inhalteanbieter, wie dies bereits von Disney oder dem FC Bayern (FCB.tv – einem Video-Dienst für Fans) demonstriert wird. Auch für Infrastrukturbetreiber besteht die konkrete Gefahr, dass sich ihre Netzinvestitionen und Rechtelizenzkosten nicht amortisieren, falls sie das Inhaltegeschäft nicht schnell erlernen.

Der Kunde entscheidet

Das klassische Fernsehen wird zwar auf absehbare Zeit nicht gänzlich durch interaktive Formate ersetzt werden, seinen Zenit hat es jedoch bereits überschritten. Wie immer wird der Kunde entscheiden, welche Anbieter sich am Ende durchsetzen werden. Entsprechend liegt die größte Herausforderung der IPTV-Welt in der Identifikation der richtigen Kundensegmente. Der derzeitige Web 2.0-Hype darf nicht über die tatsächlichen Kundenpräferenzen hinwegtäuschen: Die meisten Zuschauer sind eher passive Konsumenten und werden es auch bleiben. Umso wichtiger ist eine punktgenaue und differenzierte Ansprache relevanter Kundensegmente – idealerweise unter Nutzung der bereits vorhandenen Markenwerte. Dabei gilt es, die richtige Balance zu finden zwischen der Kontrolle von Inhalten bzw. Geschäftsmodellen einerseits und der Schaffung von Freiräumen für die Nutzer andererseits. Sonst wird sich der Zuschauer sein individuelles Programm eines Tages durch eine automatisierte, personalisierte Suchfunktion servieren lassen, anstelle sich weiter der Genialität des Programmdirektors anzuvertrauen

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