Multichannel-Vertrieb – Vorteile überschätzt?

Dass durch das Internet auch beim stationären Handel erhebliche Umsätze generiert werden, gilt als weithin bekannt. Doch wie verhält es sich umgekehrt? Wer profitiert eigentlich von Kunden, die sich erst vor Ort informieren, um dann via Internet zu bestellen?

In den Jahren des eCommerce-Booms haben die reinen Internet-Anbieter den Business-to-Consumer eCommerce dominiert. Mittlerweile sind viele dieser Unternehmen Konkurs gegangen, andere wurden von etablierten Anbietern übernommen. Als Hauptgrund für den ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg wird vielfach die Konzentration auf das Internet als einzigen Vertriebskanal angeführt. Besser positioniert seien hingegen Multi-Channel-Anbieter. Darunter versteht man Händler, die ihre Produkte nicht nur über das Internet, sondern parallel auch über Ladengeschäfte und per Katalog vertreiben. Als Beleg für die Überlegenheit der Multi-Channel-Händler kann angeführt werden, dass der Marktanteil der Multi-Channel-Firmen bei Internet-Geschäften mit Konsumenten in den USA bereits im Jahr 2000 bei über 60 % lag (Bain & Company).

In einer aktuellen Untersuchung hat das E-Commerce-Center Handel untersucht, inwieweit Multi-Channel-Anbieter tatsächlich Kundenbedürfnisse besser erfüllen können als One-Channel-Anbieter. Dabei standen die Vertriebskanäle stationärer Handel und Internet Shopping im Fokus der Untersuchung, während weitere Absatzkanäle wie z. B. der Katalogversandhandel nicht berücksichtigt wurden. Konsumenten dürften Multi-Channel-Anbieter vorziehen, wenn sie bei einem Einkaufsgang mehrere Vertriebskanäle kombinieren möchten. Drei Kombinationen sind denkbar:

1. Kaufanbahnung über das Internet mit Kauf im Ladengeschäft,
2. Kaufanbahnung über ein Ladengeschäft mit Kauf im Internet,
3. Kauf im Internet und Auslieferung über ein Ladengeschäft.

Die tatsächliche Bedeutung dieser potentiellen Vorteile wurde im Rahmen einer repräsentativen Online-Befragung von 1239 Internet-Nutzern überprüft. Die Online-Shopper und Nicht-Online-Shopper (Internet-Nutzer, die keine Waren über das Internet kaufen) wurden nach ihrem letzten Einkauf im Internet oder in einem Ladengeschäft befragt. Dabei wurde die Untersuchung auf 12 ausgewählte Branchen beschränkt, zu denen u. a. Bücher, Drogerie-/Kosmetikartikel, Bekleidung und Möbel zählten.

Es zeigte sich, dass der Selbstabholung in Ladengeschäften nach dem Einkauf im Internet überhaupt keine empirische Bedeutung zukommt. Keiner der befragten Online-Shopper wählte diese Auslieferungsoption. Leichte Vorteile der Multi-Channel-Anbieter lassen sich hingegen aus den beiden anderen Kombinationen ableiten. So konnte festgestellt werden, dass sich Internet-Nutzer bei knapp 30 % ihrer Einkäufe im stationären Handel vorab im Internet informieren. Wenn man bedenkt, dass nach aktuellen GfK-Zahlen mittlerweile fast 60 % der Bevölkerung zwischen 14 und 69 Jahren zur Gruppe der Internet-Nutzer zählen, kommt dem Internet als Informationsmedium für Einkäufe in Ladengeschäften eine große Bedeutung zu. Ein Multi-Channel-Anbieter verfügt jedoch nur dann über einen Vorteil, wenn sich die Nutzer auf seinen Internet-Seiten informieren und anschließend in einem seiner Ladengeschäfte einkaufen. Diese Form des Multi-Channel-Kaufs konnte bei gut 10 % aller Einkäufe von Internet-Nutzern beobachtet werden. Wie ist diese Zahl zu bewerten?

Einerseits erscheint die Prozentzahl sehr niedrig, wenn man sie mit Ergebnissen aus anderen Multi-Channel-Studien vergleicht. So hat bspw. eine Studie der Boston Consulting Group ergeben, dass sich 88 % aller Internet-Nutzer in den letzten 12 Monaten mindestens einmal im Internet über ein Produkt informiert haben. In solchen Studien wird nicht berücksichtigt, dass sich die meisten Internet-Nutzer nur selten oder gelegentlich vor einem stationären Einkauf im Internet informieren.

Wenn andererseits davon ausgegangen werden kann, dass bei diesen Einkäufen die Internet-Seiten eines Händlers ausschlaggebend für den Einkauf in seinem Ladengeschäft sind, hätten Multi-Channel-Anbieter bei jedem zehnten stationären Einkauf von Internet-Nutzern einen klaren Vorteil. Stationäre Händler, welche die Informationssuche der Konsumenten im Internet nicht unterstützen, kommen in diesen Einkaufssituationen nicht zum Zug.

Auch bei Internet-Käufen informieren sich viele Konsumenten vorab in dem anderen Vertriebskanal. So ergab sich, dass sich die Online-Shopper bei knapp 30 % ihrer Einkäufe vorher in einem Ladengeschäft informieren. Allerdings erfolgt nur bei 2,6 % aller Einkäufe die Information bei dem Händler, bei dem später im Internet gekauft wird. Bei dieser Form des Multi-Channel-Kaufs sind deswegen nur geringe Vorteile von Multi-Channel-Anbietern zu erkennen. In den meisten Fällen informieren sich Online-Shopper in Ladengeschäften von Händlern, bei denen sie später nicht kaufen.

Aus Sicht des stationären Handels sollte ein anderes Ergebnis bedenklich stimmen. Bei 25,9 % aller Internet-Käufe informieren sich die Kunden vor dem elektronischen Einkauf in Ladengeschäften, ohne dass die stationären Händler dafür in irgendeiner Form entgolten werden. Besonders problematisch ist diese Form des Free Ridings oder Trittbrettfahrens, wenn sich die Kunden sogar von einem Verkäufer persönlich beraten lassen. Dieser Fall ist bei knapp 10 % aller Internet-Käufe zu beklagen.

Insgesamt führen die Ergebnisse der Studie zu dem Schluss, dass die Vorteile von Multi-Channel-Anbietern aus Kundensicht eher bescheiden ausfallen. Allerdings variieren die Vorteile in einzelnen Branchen sehr stark. Indem man die Vorteile für eine einzelne Branche mit dem Durchschnitt über alle Branchen vergleicht, lässt sich ein Multi-Channel-Index berechnen. Überraschend ist dabei das Abschneiden der Warengruppen „CDs/Tonträger“, „Bücher“ oder „Videokassetten/DVDs“. Bei diesen Branchen, die im Allgemeinen zu den Vorreiterbranchen des eCommerce gezählt werden, kommt den Multi-Channel-Käufen nur eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu. In den Branchen „PC-Zubehör/Hardware“, „Unterhaltungselektronik“ und „Möbel“ verfügen Multi-Channel-Anbieter hingegen über stark überdurchschnittliche Vorteile. Für Händler, die in diesen Branchen mit nur einem Vertriebskanal agieren, besteht ein recht hoher Druck, einen weiteren Vertriebskanal einzurichten.

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