Von der Online-Strategie zum Multichannel-Mix

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Von der Online-Strategie zum Multichannel-Mix

30.01.2003 |


Die Nutzung unterschiedlicher Vertriebskanäle verspricht den Unternehmen nicht nur eine deutlich bessere Markenwahrnehmung, sondern auch eine spürbare Steigerung ihrer Erträge. Wie schwierig sich die Umsetzung einer Integrationsstrategie in der Praxis jedoch gestalten kann, lehrt ein Blick auf die jüngere Entwicklung des eCommerce. Doch auch an erfolgreichen Beispielen herrscht kein Mangel.



Dass ein alteingesessenes Handelsunternehmen nicht im Handstreich zu einem Highflyer im Internet gemacht werden kann, haben die Verantwortlichen in den Chefetagen von Metro, Rewe, Tengelmann, Aldi oder KarstadtQuelle, aber auch ungezählte kleine Unternehmen bereits während der Internet-Hypephase erfahren. Zunächst sahen sie hier einen Nachteil und einige setzten auf Spin-offs, um im Wettbewerb der kleinen, schnellen und innovativen Online-Unternehmen mitzuhalten. Erfolgreich waren damit die wenigsten – im Gegenteil, kaum eins der neuen Unternehmen ist auch jetzt noch selbstständig tätig.

Andere Händler sahen sich durch das Platzen der Dot-com-Blase bestätigt: Es seien eben nur wenige Produkte wirklich für den eCommerce geeignet, wiegten sie sich in Gewissheit. Und auch gegenwärtig lässt sich die Entwicklung der Umsätze nach wie vor durchaus in diesem Sinne interpretieren. Mit acht Milliarden Euro im Jahr 2002 erreichen die eCommerce-Umsätze in Deutschland nach Berechnungen des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels keineswegs Schwindel erregende Höhen, sondern lediglich 1,6 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Im nächsten Jahr soll dieser Anteil zwar mit elf Milliarden Euro auf 2,1 % steigen, aber diese Prognose allein wird bislang skeptische Händler kaum umstimmen können: Während sich „eCommerce-Klassiker“ wie Bücher, elektronische Erzeugnisse und Spielwaren gut im Online-Markt behaupten, kämpfen Lebensmittel- und Möbelhändler oder auch die Anbieter von Haushaltswaren immer noch mit Schwierigkeiten.




Angesichts der hohen Geschwindigkeit und der Nachhaltigkeit, mit der das Internet das alltägliche Leben der Konsumenten durchdringt, entsteht aber auch für die skeptischen, eCommerce ablehnenden Händler immer wieder die Notwendigkeit, ihre Haltung zu überprüfen. Ausschlaggebend sind dafür weniger allgemeine Umsatzzahlen als vielmehr die Meldungen über erfolgreiche Unternehmen. So stimmt es aktuell zum Jahresende 2002 die Modeanbieter nachdenklich, wenn Amazon mit dem Projekt „Ruby“ in den Handel mit Kleidung einsteigt. Das erinnert daran, dass die traditionellen Versandhändler bereits recht erfolgreich das Internet als zusätzlichen Vertriebskanal nutzen. So gilt Otto weithin als Nummer Zwei im globalen eCommerce. Allein unter der Stammadresse Otto.de bilanziert das Unternehmen für das Geschäftsjahr 2001/2002 (mit Abschluss zum 28.02.02) einen Umsatz von 490 Millionen Euro; dies entspricht einer Steigerung um 42 %. Der Anteil am Gesamtumsatz der Versandsparte liegt damit bereits deutlich über 10 %. Aber auch die Zahl der Seitenzugriffe verdeutlicht das große Interesse der Konsumenten am Angebot: So bezifferte das Unternehmen die Summe der Zugriffe für das erste Halbjahr 2002 mit mehr als 18 Millionen Visits. Wichtig ist zudem, dass Otto nach eigenen Angaben bereits regelmäßig „schwarze Zahlen“ im Online-Handel schreibt.

Auch die weiter steigende Zahl der Internetnutzer, also der potenziellen Kunden, lässt die Front der eCommerce-Skeptiker bröckeln. Gegenwärtig sind nach Berechnungen der Marktforscher von Forrester Research 43 % der Europäer online. Das entspricht rund 127 Millionen Menschen. Zu den Online-Shoppern zählen davon 37 %, also 47 Millionen. In Deutschland haben 11 % der Gesamtbevölkerung oder 26 % der Internet-Nutzer im November 2002 online eingekauft, wie die Ergebnisse einer Umfrage von Taylor Nelson Sofres Interactive belegen. Jeder Zweite hat dabei bis zu 100 Euro ausgegeben. 34 % zwischen 101 und 300 Euro. 7 % haben für 1.000 oder mehr Euro online konsumiert.




In den vergangenen Monaten hat vor allen Dingen ein Begriff dafür gesorgt, dass Internetaktivitäten wieder als zwingend notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen B2C-Strategie angesehen werden. Multichannel hieß und heißt das Zauberwort, wenn es darum geht, die Umsätze mit den Endkonsumenten zu steigern und sie langfristig an das Unternehmen zu binden. Mittlerweile haben die Akteure erkannt, dass das stationäre Geschäft und der Online-Handel nicht als konkurrierende Sparten betrachtet und behandelt werden sollten. Es geht vielmehr um das optimale Spiel auf den unterschiedlichen Klaviaturen. So mahnen die Marktforscher und Unternehmensberater die Integration von Multichannel-Verkaufsstrategien an, die sowohl stationäre Geschäfte, Kiosksysteme, mobile Kanäle, Kataloge und das Web einschließen. Händler sollten so schnell wie möglich in der Lage sein, mit ihren Kunden bruchlos zu interagieren, wann und wo auch immer die Kunden den Kontakt suchen, so Jeff Roster von der Gartner Group-Tochter Dataquest. Von den 375 US-amerikanischen und europäischen Unternehmen, die die Marktforscher unter die Lupe genommen haben, setzten Mitte 2002 gute 75 % auf Multichannel-Verkaufs-Strategien oder planten die Realisierung entsprechender Vorhaben. Immerhin 33 % von ihnen agierten bereits am Markt, 27 % diskutierten intern und 14 % hatten schon Kontakt mit Technologieanbietern aufgenommen.

Über das Jahr 2002 hinaus stehen also Multichannel-Strategien auf der Tagesordnung der Handelsunternehmen. Mittlerweile ist man allerdings bei differenzierten Sichtweisen angelangt: Das Internet verändert nicht alles. Deswegen bleibt es für Händler nach vor die wichtigste Erfolgsvoraussetzung, zu wissen, wo, wann und wie die Kunden möglicherweise ihre Bedürfnisse befriedigen und Probleme lösen möchten. Die Multichannel-Integration wird dabei zur Schlüsselqualifikation, wenn es um die Fähigkeit geht, die Konsumenten während der Anbahnungs- und der Abwicklungsphase der Transaktion ebenso wie in der Phase der Aftersales Services zufrieden zu stellen – und zwar sowohl kurzfristig als auch „in the long run“. Dementsprechend geht es nicht mehr nur darum, in isolierten Vertriebskanälen unterschiedliche Zielgruppen zu bedienen. Vielmehr ist man auf der Suche nach dem richtigen Mix, der den Wettlauf um die Kundentreue entscheidet. Neben günstigen Preisen bei höherer Qualität und besserer Auswahl sowie Einkaufsmöglichkeiten rund um die Uhr müssen die Händler heutzutage sicherstellen, dass die Waren in allen von den Kunden gewünschten Absatzkanälen zur Verfügung stehen. Zumindest hinsichtlich der Umsätze haben sich die Händler dabei für 2003 keine grundsätzlich neuen Ziele gesteckt. Allerdings tritt bei der Erfolgsbeurteilung der einzelne Kanal zugunsten des Multichannel-Mix in den Hintergrund.




Es müssen durchaus nicht immer die großen Unternehmen und Konzerne sein, die auf allen Kanälen erfolgreich den Kontakt mit den Kunden suchen. Auch wenn für den einzelnen selbstständigen Fachhändler mit lokalem Einzugsgebiet zum Beispiel eine aufwändige Multichannel-Strategie wirtschaftlich kaum sinnvoll scheint, können intelligente Konzepte durchaus für kleine Unternehmen Chancen eröffnen. So verbindet der EP:Netshop unter dem Motto „Online einkaufen – mit Service vor Ort!“ die Vorteile des Online-Shoppings mit dem Service, den nur der stationäre Handel bietet. Die 560 angeschlossenen Händler sind über eine eigene Internet-Adresse für 50 Euro im Monat mit dem EP:Netshop verbunden und garantieren einen flächendeckenden Vor-Ort-Service in der gesamten Bundesrepublik. Die Provisionen aus den Umsätzen in den jeweiligen Vertragsgebieten führt die größte europäische Verbundgruppe für Unterhaltungselektronik den Partnern in den jeweiligen Vertragsgebieten zu. Im EP:Netshop können die Kunden online kaufen und bezahlen mit anschließender Lieferung der Ware durch die Post. Oder aber die Kunden bestellen im Netz und holen dann die Ware beim Fachhandel in ihrer Region ab. Diese Möglichkeiten werden bislang selten geboten: Nach eigenen Angaben betreibt Electronic Partner „den einzigen voll integrierten Multichannel-Shop in Europa“. Dass die Abholung per Internet bestellter Waren an der Ladentheke tatsächlich keine Selbstverständlichkeit in Deutschland ist, belegt auch eine Untersuchung des Eurohandelsinstituts. Von den befragten 25 „wichtigsten und innovativsten deutschen Multichannel-Händlern“ bietet nur ein Drittel diese Option an. Immerhin aber räumen zwei Drittel der Unternehmen, die über ein Filialnetz verfügen, ihren Kunden die Möglichkeit ein, bestellte Waren bei Nichtgefallen vor Ort im Geschäft zurückzugeben. Insgesamt konstatiert die Untersuchung allerdings noch ein ausgeprägtes Defizit, wenn es darum geht, den Online- und den Offline-Bereich erfolgreich miteinander zu verknüpfen.

Ein Blick in die USA zeigt, dass auch dort viele Händler noch mit ganz ähnlichen Schwierigkeiten kämpfen. Nur wenige bieten die ganze „buy online, pick up in store“- Möglichkeit an – die Integration der Technologien und Geschäftsprozesse ist noch nicht bewältigt. Diejenigen, die bislang in diesem Bereich erfolgreich sind, wie Sears oder Circuit City, haben die bestehenden Systeme zum Teil auf Umwegen miteinander verbunden und auf die existierenden Geschäftsprozesse neue Regeln gesetzt. Um es zu ermöglichen, dass Niederlassungen Bestellungen aus anderen Filialen erhalten, musste Sears zum Beispiel eine Applikation entwickeln, die Aufträge aus dem Online-Shop mit einem „normalen“ Auftrag identisch machte. Auch der Abgleich der Bestände und die Migration zu einem webbasierten Real-Time-Inventory-System erwies sich als große Herausforderung. Nicht zu vergessen die Kosten: Aufgrund der hohen Aufwendungen haben zahlreiche namhafte Händler bislang noch keine weiteren Vorhaben hinsichtlich einer Multichannel-Integration in Angriff genommen.

Komplett integriert sind bislang immerhin Best Buy, Circuit City, Office und Sears. Sie gehören zu den Pionieren, die es ihren Kunden ermöglichen, online gekaufte Produkte in einer lokalen Filiale abzuholen. Als vorteilhaft erweist es sich dabei für sie, dass die Selbstabholung von vornehmlich sperrigen Waren auch vorher schon möglich war. Auch die Option, Bestellungen zwischen den einzelnen Niederlassungen weiterzuleiten, war bereits vor dem Einzug des Web mit den vorhandenen Systemen und Prozessen möglich. Andere Händler haben es zumindest soweit gebracht, dass sie Retouren in ihren Niederlassungen annehmen können. Eddie Bauer, Macy’s oder The Gap ermöglichen zwar kein Pick-up der online georderten Waren, aber die Rückgabe. Bei anderen Händlern wird es wahrscheinlich noch etwas länger dauern, bis sie soweit sind. Experten stimmen darin überein, dass es zeit- und kostenaufwendig sein wird, eine Multichannel-Infrastruktur von Grund auf zu implementieren – insbesondere, wenn die Webshops als isolierte Unternehmungen gestartet wurden. Die nachträgliche, reibungslose Verbindung der entsprechenden Backoffices wird eine längerfristige Aufgabe sein, die zwar hohe Investitionen erfordert, aber dennoch so schnell wie möglich in Angriff genommen werden sollte.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Händler trotz Konjunkturschwäche in diesem Jahr verstärkt auf neue Technologien setzen. Dabei geht es nicht nur darum, den Kunden bessere Möglichkeiten zu bieten, sondern selbstverständlich auch um Kostensenkung, Effizienzsteigerung und Kundenbindung. Es gilt einen schwierigen Balanceakt zu vollziehen und in der kurzfristigen Perspektive einen schnellen Return on Investment zu erreichen, ohne langfristig im Wettbewerb auf Differenzierungsvorteile durch Technologien zu verzichten. So haben die Experten von Forrester festgestellt, dass die Händler im Jahr 2002 im Vergleich mit den Global-3.500-Unternehmen rund 20 % mehr für Technologie ausgaben. Immerhin 4,3 % ihrer Umsätze investierten sie laut der Studie „Making Retail Technology Pay Off“ für Anwendungen in den Bereichen Procurement, Supply Chain Management und Customer Relationship Management.

Von Grund auf erneuert hat zum Beispiel REI im Herbst 2002 seine eBusiness-Infrastruktur. Dabei zielte der bekannte Anbieter von Outdoor-Equipment darauf, die proprietäre Lösung durch eine Standard-Software zu ersetzen, die genauso reibungslos mit dem Backoffice zusammenarbeitet wie die entsprechenden Anwendungen aus dem Versandhandel und dem stationären Geschäft. Darüber hinaus sollte aber auch ein weiterer Kanal besser integriert werden: die 124 POS-Terminals, die REI in den 61 Niederlassungen betreibt. Neben den 78.000 angebotenen Produkten, die über die unternehmenseigenen Webshops erhältlich sind, werden hier auch die rund 45.000 Seiten Content in Form von Checklisten, Hintergrund- oder Testberichten für die Besucher der Ladenlokale verfügbar gemacht – mehr als auch der beste Verkäufer jemals seinen Kunden an Informationen anbieten könnte, so Jennifer Lind von REI. Die Umsätze, die über diese POS-Terminals abgewickelt werden, können sich sehen lassen: Im Jahr entsprechen sie denen einer durchschnittlichen REI-Niederlassung. Auch insgesamt lässt sich der Erfolg der Multichannel-Strategie von REI mit Zahlen eindrucksvoll belegen: Im Zweijahreszeitraum geben Dual-Channel-Shopper 114 % mehr aus als Single-Channel-Shopper. Und Tri-Channel-Shopper legen noch einmal 48 % zu.

An Vorbilder, wie Erfolg versprechende Multichannel-Strategien aussehen können, mangelt es also nicht: Das Thema wird die Händler weltweit noch einige Zeit begleiten. Einige der Vorreiter auf diesem Gebiet haben die Latte bereits höher gelegt: Ahold bietet seinen Online-Kunden bereits eine auf die einzelnen Filialen bezogene Verfügbarkeitsprüfung an. Schon jetzt ist allerdings eins klar: Absatzpolitik wird in Zukunft nicht mehr ohne Multichannel-Konzepte machbar sein.

Der vorliegende Beitrag stammt aus dem E-Business Outlook 2003 der European E-Commerce Academy

Über Anregungen und Kritik freuen sich Kurt Monse und Monika Gatzke

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