Just in Time in Verwaltung und Dienstleistung: Prozessportale als Schlüssel zur Rationalisierung

Wissen unternehmensübergreifend digital zur Verfügung zu stellen, die Zusammenarbeit der Mitarbeiter abteilungsübergreifend zu unterstützen und komplette Geschäftsprozesse ohne Medienbrüche zu gestalten, das sind die hochgesteckten Ziele, die heutzutage die Rationalisierung von Büro- und Dienstleistungsarbeit erreichen soll. Portale bieten in dieser Hinsicht neue Ansatzpunkte und Chancen.

Anfang 2001 herrschte in den USA Verwunderung darüber, dass trotz steigender Wachstumsraten insbesondere im Dienstleistungsbereich nicht auch entsprechend die Zahl der Erwerbstätigen zunahm. Führende Vertreter von US-Wirtschaftsinstituten wie auch der Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, äußerten die Überzeugung, dass hierin die verspäteten Effekte der als gescheitert angesehenen New Economy zu beobachten seien. Unternehmen nutzten die neuen Technologien bzw. technologischen Ansätze, um ihre Geschäftsprozesse zu automatisieren und zu rationalisieren. Es wurden Customer Selfcare Services eingeführt, um die Servicequalität gegenüber den Kunden zu erhöhen und die eigene Verwaltungsabläufe zu entlasten. Im Ergebnis werden die Mitarbeiter werden dabei unterstützt, ihre tägliche Büroarbeit effizienter abzuwickeln, indem Aufgaben, Teile des Workflows oder ganze Geschäftsprozesse digitalisiert oder automatisiert werden.

Auch in Deutschland wird seit Jahrzehnten diskutiert, ob sich Dienstleistungs- bzw. Büroarbeit rationalisieren lässt. Bis in die 1980er Jahre herrschte die Meinung vor, dass es ähnlich wie in den Anfängen der Fertigungsrationalisierung möglich sein sollte, durch zunehmende Arbeitsteilung und Automatisierung von Tätigkeiten vergleichbare Effizienzsteigerungen zu erzielen wie in der industriellen Produktion. Mit unterschiedlichsten organisatorischen Modellen und dem Einsatz von Technologien der Bürokommunikation wurden Aufgaben und Prozesse unterstützt und verteilt.

Die Ergebnisse dieser Ansätze stellen allerdings insbesondere die Branchen mit einem hohen Anteil an Dienstleistungs- und Verwaltungstätigkeiten vor Probleme, wie z.B. Versicherungen, Banken, öffentliche Verwaltungen, die Telekommunikationswirtschaft sowie Konzerne des produzierenden Gewerbes. Nicht zuletzt aufgrund heterogener, an vertikalen Aufgabenstellungen orientierten IT-Landschaften bestehen Informations- und Kommunikationsbrüche. Diese behindern einen reibungslosen unternehmensinternen Prozessablauf erheblich, erschweren die Geschäftsanbahnung und -abwicklung mit den Kunden und Partnern und sind letztlich mit hohen Kosten der Prozessabwicklung und Wartung der IT-Systeme verbunden.

Die Rationalisierungsbemühungen in Büro und Verwaltung scheinen heute an ihren eigenen Erfolgen zu ersticken. Zwar konnten Aufgaben- und Prozessteile in den unterschiedlichen fachlichen Bereichen der Unternehmen durch den Einsatz verteilter Techniken gut unterstützt werden. Eine vollständige Digitalisierung mit einem abteilungs- und prozessübergreifenden Blick scheitert heute aber weitestgehend an den heterogenen IT-Infrastrukturen.

Mit der New Economy wurde die Diskussion um die Rationalisierung von Büro- und Dienstleistungsarbeit erneut entfacht und hat in Begriffen wie Unternehmens-, Mitarbeiter-, Makler- oder eGovernment-Portalen ihren Ausdruck gefunden. Allerdings konzentriert man sich heute folgerichtig nicht mehr darauf, Aufgaben zu teilen und einzelne Tätigkeiten punktuell technologisch zu unterstützen. Der Charakter von Dienstleistungs- und Verwaltungsaufgaben verlangt vielmehr, Wissen unternehmensübergreifend digital zur Verfügung zu stellen, die Zusammenarbeit der Mitarbeiter abteilungsübergreifend zu unterstützen und komplette Geschäftsprozesse ohne Medienbrüche zu gestalten. Offenbar bieten Portale in dieser Hinsicht neue Ansatzpunkte und Chancen.

Allerdings klafft noch eine erhebliche Lücke zwischen den grundsätzlichen Zielen, die mit dem Aufbau von Portalen verbunden werden und dem heute erreichten Stand der Umsetzung. Der Grund hierfür ist, dass die Unternehmen sowohl konzeptionell und methodisch als auch technologisch bei der Planung und Realisierung von Portalen nicht weit genug gehen.
Ein Blick in die Entwicklungssystematik der Portalidee und ihrer praktischen Umsetzung sowie ihr konsequentes „Zu-Ende-Denken“ kann dies zeigen.

Drei Phasen der Portalentwicklung

Systematisch lassen sich drei Phasen der Entwicklung von Portalen unterscheiden, ohne dass diese Phasen in der Praxis trennscharf oder in eindeutiger zeitlicher Abfolge vorkommen. Entscheidend ist vielmehr die Differenzierung der Phasen dahingehend, was mit den Portalen beabsichtigt wird, an wen sie sich richten, welche Inhalte und Funktionen sie bieten und welche Technologien zum Einsatz kommen. Die einzelnen Phasen kennzeichnen den Reifegrad eines Portals. Dieser steigt, je mehr die Portale in der Lage sind, Geschäftsprozesse vollständig abzubilden und zu unterstützen.

Überschreiben kann man die jeweiligen Phasen mit den Stichworten Informationsbereitstellung, Anwendungsintegration und Prozessunterstützung oder aber mit Begriffen wie Informations-, Anwendungs- und Prozessportal.

1. Informationsbereitstellung
In einer ersten Stufe dienen Portale dazu, den Zielgruppen (Kunden, Partnern, Mitarbeitern) Informationen an zentraler Stelle über ein einheitliches Frontend zur Verfügung zu stellen. Im Vordergrund stehen allgemeine Unternehmensinformationen, Informationen über Produkte, Dienstleistungen und Projekte, Kontaktdaten der Ansprechpartner usw. Die Quellen dieser Informationen können dabei auch externe Datenbanken sein, die an die Content Management Systeme angebunden sind. Die Qualität dieser Informationsportale wird häufig durch Suchtechnologien und die personalisierte Bereitstellung der Informationen gesteigert. Damit sollen die Informationsüberflutung der Nutzer und lange Recherchezeiten vermieden werden. Abhängig von der Vertrauenswürdigkeit der Daten und Informationen müssen Zugriffsrechte vergeben und technisch abgebildet werden. Darüber hinaus wird zunehmend die Mehrsprachigkeit von Portalen vorangetrieben. Dies gilt sowohl für Kunden- als auch Mitarbeiterportale.

2. Anwendungsintegration
Die qualitativ nächste Stufe wird erreicht, wenn häufig genutzte Anwendungen integriert werden. Das Ziel besteht darin, den Usern an zentraler Stelle über eine einheitliche Plattform und in der Regel über ein einheitliches Graphical User Interface (GUI) die Nutzung von Anwendungen zu erleichtern. In dieser Entwicklungsstufe geht es um einzelne Anwendungen, die noch nicht komplette Prozesse abbilden. Anwendungsportale bieten einen unmittelbaren Zugang zu Legacy- oder Enterprise-Systemen über das Portal-Interface. Bei Mitarbeiterportalen etwa werden häufig sogenannte Employee Self Services integriert. Hier können Mitarbeiter beispielsweise ihre Arbeitszeitnachweise, Reisekosten, Urlaubsanträge usw. direkt am PC ausfüllen. Bei Versicherungen werden beispielsweise Tarif- und Angebotsrechner integriert.
Kommen mehrere, auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Anwendungen im Portal zum Einsatz, werden häufig Single-Sign-On-Verfahren angeboten. Damit ist es den Nutzern möglich, mit nur einer einmaligen Anmeldung auf alle für sie zur Verfügung stehenden Anwendungen zuzugreifen.

Um in Anwendungsportalen zumindest auf der Benutzeroberfläche eine einheitliche Sicht auf Prozesse zu bekommen, die mehrere Backend-Anwendungen betreffen, werden z. B. Portlets für jede dieser Anwendungen entwickelt, die dann zwar nebeneinander, jedoch unverbunden auf den Portalseiten präsentiert werden.

3. Prozessunterstützung
Prozessportale sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur einzelne fachliche Anwendungen über ein einheitliches Interface nebeneinander zur Verfügung stellen, sondern Geschäftsprozesse vollständig unterstützen. Entscheidend ist dabei, dass in den einzelnen Prozessen häufig diverse betriebswirtschaftliche Systeme gleichzeitig bedient werden. Es geht also um eine prozessorientierte Sicht der Anwendungsintegration. Eine weitere Eigenschaft von Prozessportalen ist, dass sie den Nutzern (Mitarbeiter, Partner, Kunden) die abschließende Bearbeitung eines kompletten geschäftlichen Ablaufs ermöglicht, der mehrere Anwendungen gleichzeitig tangiert, ohne dass er Zugang zu diesen haben bzw. diese auch nur kennen muss.

Wenn komplette Vertriebsprozesse (z. B. der Außendienstmitarbeiter von Versicherern), die Abwicklung von Projekten (z. B. in der Produktentwicklung) oder Verwaltungsprozesse (z. B. elektronische Melderegisterauskunft bei Städten) unterstützt werden, geht es um eine „fallabschließende“ Bearbeitung ohne Medien- und Zeitbrüche und ohne die Anforderung an die Mitarbeiter, die entsprechenden Bestands-, ERP- oder Verwaltungssysteme überhaupt kennen zu müssen. Die qualitativen und quantitativen Rationalisierungseffekte von Prozessportalen sind dadurch enorm.

Gleichzeitig erhöhen sich aber auch die fachlichen und technologischen Anforderungen an Projekte, die die Einführung von Prozessportalen zum Ziel haben. Aus fachlicher Sicht geht es darum, die Bestandteile der zu unterstützenden Prozesse sowie der betroffenen, benachbarten Prozesse zu identifizieren und zu beschreiben. Gleiches gilt für die jeweils zu nutzenden und zu bedienenden Anwendungen und Systeme, die in das Portal integriert werden müssen, um eine durchgängige technologische Unterstützung zu gewährleisten. Prozessportale setzen bei den Lieferanten ein ausgeprägtes EAI-Know-how voraus.

Just in Time: Rationalisierungseffekte durch Prozessportale

Es ist also die dritte Phase der Portalentwicklung, die es ermöglicht, das volle Rationalisierungspotenzial der Büro-, Verwaltungs- und Dienstleistungsrationalisierung auszuschöpfen. Was sich aus Sicht der Unternehmen und Verwaltungen als Rationalisierungsgewinn darstellt, bedeutet für die Zielgruppen von Portalen – die Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter – eine erhebliche Steigerung der Dienstleistungsqualität. Informations-, Dienstleistungs- und Verwaltungsleistungen werden „Just-in-Time“ und in der Regel in höherer Qualität zur Verfügung gestellt. „Just-in-Time“ bedeutet dabei idealerweise, dass der Nutzer des Portals den Prozess, den er über das Portal abwickelt bzw. anstößt, komplett selbständig, direkt und ohne Medienbruch sowie ohne die zusätzliche Hinzuziehung weiterer Personen abwickeln kann. Das bezieht sich nicht nur auf die vereinfachten Bestellprozesse, sondern auch auf Beratungsleistungen, die durch Vertriebs- und Servicemitarbeiter vor Ort beim Kunden erbracht werden, auf die Verfügbarkeit von Informationen für Mitarbeiter und Geschäftsleitungen sowie auf Partner, die in die Produktentwicklung oder Projektabwicklung eingebunden sind.

Prozessportale sind somit der Hebel, der erstmals systematisch die Rationalisierung von Büro- und Dienstleistungsprozesse zulässt. Dieses Ziel wird aber anders als in der Frühphase der Fertigungsrationalisierung nicht durch zunehmende Zersplitterung von Arbeitsschritten, die latente Dequalifizierung von Mitarbeitern und die Hierarchisierung von Prozessen erreicht. Das Gegenteil ist der Fall: Wenig qualifizierte Tätigkeiten entfallen zunehmend, die Qualität der Arbeit steigt durch die zielgenaue Bereitstellung von Daten, Informationen und prozessorientiert zusammengesetzten Applikationen. Die Mitarbeiter in Unternehmen und Verwaltungen beherrschen durch die technologische Unterstützung wieder komplette Prozessketten.

Erst mit Prozessportalen wird ein Reifegrad erzielt, der die gewünschten Rationalisierungseffekte ermöglicht. Die durchgängige End-to-End-Digitalisierung von Prozessen bis hin zu deren Mobilisierung erlaubt eine erhebliche Beschleunigung der Durchlaufzeiten, es entfallen administrative Aufgaben und der Service für die Zielgruppen von Portalen wird erheblich verbessert.

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