WM 2006 zwischen Vision und Wirklichkeit

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wirft ihre Schatten voraus. War noch im vergangenen Jahr die Welt voller Visionen, so hat sich ein Jahr vor dem Eröffnungsspiel vielfach Ernüchterung breitgemacht. Aus diesem Grund haben sich die Experten von Detecon zum Ziel gesetzt, die fortgeschrittenen Träume aus dem Bereich Informationstechnologie & Telekommunikation auf Basis eines Experten-Panels auf eine vernünftige, nachvollziehbare Grundlage zu setzen.

Dass die WM 2006 nach wie vor ein Sportfest ist, wird jeder Leser ohnehin denken. Dass sich nur technische Leistungen durchsetzen werden, die einen Mehrwert auf breiter Masse bieten, wird hier wahrscheinlich auch niemanden überraschen. Wie beide Sachen zusammenlaufen werden, stellen sie hier vor. Konfrontiert mit der Vision einer voll auf ICT abgestimmten WM 2006 haben die Experten im Detecon Trendscouting Panel ein sehr differenziertes Meinungsbild abgegeben. Grundsätzlich lassen sich aus Sicht einer rein technologischen Betrachtung Fußballspiele, wie die der WM 2006, problemlos zu ICT-Events machen. Werden aber Plausibilität, Komplexität, Machbarkeit, zeitlicher Aufwand und eine wirtschaftliche Betrachtung unter kritischer Betrachtung der Zielgruppen herangezogen, so erscheinen die Einsatzmöglichkeiten von ICT-Technik auf breiter Front eher als ein „Funk“-Schloss bzw. Luftschloss.

Die größten technischen Hindernisse für den ICT-Einsatz bei einem internationalen Event wie der Fußball-WM ergeben sich grundsätzlich aus den Themen Normung & Standards und der Komplexität der Systeme. Vieles, was möglich ist, wird in unterschiedlichen Ländern unter nicht immer kompatiblen Standards betrieben.

Zahlreiche Servicepartner haben bestimmte Systemanforderungen, die berücksichtigt werden müssen, viele internationale Besucher haben gewohnte Services (z.B. EC Cash) die nicht global sind, viele Sprachen müssen berücksichtigt werden, etc. Letztlich wird die Komplexität der Systeme der größte Begrenzer für den Einsatz von ICT-Lösungen bei der Fußball-WM 2006 und auch bei späteren internationalen Großveranstaltungen sein.

Zwiespältig wird auch der Einsatz von ICT-Technik im Hinblick auf die Zielgruppen betrachtet. Die meisten Fußball-Fans stehen zumeist nicht in der ersten Reihe der Informationsgesellschaft und sind eigentlich nur an dem Fußballspiel interessiert.

ICT-Services, vor allem im Bereich der Zuschauersteuerung und Sicherheit, gaukeln hier nach Meinung vieler Experten eine Scheinsicherheit vor, die davon ausgeht, dass jeder sich uneingeschränkt mit dem System und seinen ICT-Lösungen abfindet und dies ohne Widerspruch akzeptiert.

Die WM ist hier aber wahrscheinlich weniger von echten Fans betroffen, da die Vergabepraxis der Tickets ohnehin vorwiegend auf Geschäftsleute, Prominente und Personen abzielt, die nur zu WM Spielen gehen und sich sonst nicht für Fußball begeistern. Für die echten Fans vor den Stadien, vor allem die ohne Karte, ist noch keine ICT-Lösung in Sicht.

Im Detail lassen sich die einzelnen ICT-Einsatzbereiche zur Fußball WM 2006 wie folgt betrachten.

eTicket als Eintrittskarte

Das eTicket scheint höchst plausibel und sinnvoll zu sein. Im Skisport werden solche personalisierten Karten mit RFID-Tags bereits seit Jahren mit Erfolg betrieben.

Der propagierte Nutzen bei der Verhinderung von Missbrauch und der Eindämmung des Schwarzmarktes ist durch eTickets mit RFID-Technik aber nicht vollständig auszuschließen. Hier spielt weniger das elektronische Tracking eine entscheidende Rolle, als vielmehr die Intensität der Kontrolle.

Erschwerend wirkt auf der technischen Plattform, dass zu RFID noch kein einheitlicher Standard (wie bei EAN) besteht und Reichweitenproblematik sowie Störanfälligkeit noch nicht zufrieden stellend gelöst sind.

Im Großen und Ganzen wird das eTicket nur als Zwischenlösung betrachtet, da heute theoretisch keine physischen Eintrittskarten mehr notwendig sind. Mobile- Ticketing-Lösungen, bei denen eine Kurznachricht auf dem Handy als Eintrittskarte dient, sind einfacher und ohne Medienbrüche zu realisieren. Einige Unternehmen, wie zum Beispiel Mobilkom Austria hat diese Lösung bereits für Konzerte (z.B. Robbie Williams 2003 in Wien oder Eishockey WM 2005) eingesetzt.

Verkehrs- & Zuschauerleitsystem

Ein Verkehrsleitsystem wird weitgehend als ein plausibler und zu erwartender Service beurteilt. Weitergehende neue Informations- und Leitsysteme sind technisch zwar machbar, scheitern aber an der fehlenden integrativen Plattform aller Verkehrssysteme.

Hier können allenfalls Systeme auf bestehenden klassischen Navigationssystemen aufsetzen. Neue Großsysteme sind nicht in Sicht, zumal diese jetzt schon gebaut werden müssten, damit sie 2006 funktionieren, bzw. schon 2005 beim Confederations Cup getestet werden können.

Zu bedenken ist allerdings, dass ein Großteil der Besucher Verkehrsleitsysteme nicht nutzen wird, da man sich entweder auskennt oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist.

Ist das Verkehrsleitsystem noch als grundsätzlich machbar eingestuft, so erscheinen unisono dynamische Dienste zur Zuschauersteuerung, beispielsweise zur Umgehung von „gefährlichen“ Fans, als zu komplex und mit zu hohen Infrastrukturkosten verbunden. Diese Problematik der personalisierten Telematik- Dienste verweisen das Thema eher in die weitere Zukunft.

ePayment & Billing

ePayment & Billing im Zusammenhang mit dem eTicket erscheint dem Kreis des Detecon Expertenpanels als eine sinnvolle aber nicht unproblematische Anwendung: Wer rechnet ab? Wer besitzt das Vertrauen des Kunden? Kann die Datensicher gewährleistet werden? Wo und wie läuft der Service- und Risikoübergang zwischen eTicket-Firma und Bezahlsystemen im Backbone? Fällt die Dienstleistung unter die Bankenaufsicht? Darüber hinaus müsste für das eTicket als Zahlungssystem allen Anbietern kurzfristig eine breite Infrastruktur zur Verfügung gestellt und eine reibungslose Anbindung einer Vielzahl von Systemen gewährleistet werden.

Wichtigste Einschränkung für ePayment & Billing wird allerdings die fehlende Akzeptanz auf der Kundenseite sein. Wer die langen Zyklen bedenkt, die eCash und Kreditkarte bis zur allgemeinen Akzeptanz in der Bevölkerung benötigt haben, kann nicht wirklich von einer erfolgreichen Umsetzung bis zur WM 2006 ausgehen.

Allenfalls im Prepaid-Bereich gibt es heute schon gut funktionierende Systeme, die auch zur WM umgesetzt werden können, wie beispielsweise die Knappenkarte auf Schalke. Hier lädt der Zuschauer seine Karte vorab an Terminals mit Geld auf.

Dies ist sicherer als die meisten Post-Paid-Systeme, da das Risiko bei Verlust durch die Höhe der Einzahlung selbst festlegt wird. Auch hier sprechen die Infrastrukturkosten für Terminals und die umständliche Prozesskette über die Kartenaufladung am Automaten gegen eine „Killerapplikation.“.

Mobile Bezahlsysteme, die es bereits heute gibt, wie beispielsweise Vodafone mpay können zwar mit mehr Sicherheitsfunktionen aufwarten, sind aber auch von einer breiten, von internationalen Mobilfunkbetreibern unabhängigen Nutzung weit entfernt.

Grundsätzlich besteht bei allen elektronischen Bezahlsystemen die Problematik, dass niemand bereit ist, die Kosten für das System zu zahlen und mögliche Risiken.

Dabei spielt es in der Regel keine Rolle, um welche Art von elektronischem EPayment & Billing System es sich handelt.

Informationssysteme & Value added Services über das eTicket

Ergebnisdienste, MMS-Bilderdienste, Restaurantreservierungen und vieles mehr haben vor allem das Problem der Integration der Partner. Die Notwendigkeit, bestehende Partner einzubinden, kann für eine sehr hohe Komplexität sorgen, die sich in den Geschäftsmodellen der Dienste wahrscheinlich nur schwer abbilden lässt.

Die redaktionelle Bearbeitung der Informationen in den Sprachen aller an der WM teilnehmenden Nationen ist hingegen nur eine Frage der Ressourcen.

Mediendienste

Weiße Werbeflächen am Spielfeldrand, damit ausländische TV-Sender dort ihre Werbung einbauen können. Warum nicht? Aber die Zeit bis dahin könnte etwas knapp werden, weil entsprechende neue Geschäftsmodelle vertraglich fixiert werden müssen. Auch hier gilt wieder: Eine technische Implementierung ist prinzipiell möglich, aber die Umsetzung der weltweiten Geschäftsprozesse braucht wahrscheinlich einen längeren Vorlauf.

Die virtuelle Kameratechnik zur eigenen Regie ist wohl eher eine Vision. Zumal man beim Fußball gemäß der Natur des Spiels eher auf Ballhöhe sein will, als mit selbst gewählter Kameraperspektive die Tore zu verpassen. Den direkten Ballkontakt gewährleistet die professionelle Regie eines TV-Senders seit eh und je.

MMS-Dienste zur Wiederholung der Tore auf dem Handy machen vor allem für Stadionbesucher keinen Sinn. Denn sie können ohnehin jedes Tor auf den gut einsehbaren Stadion-Mega-Displays verfolgen. Fernsehzuschauer brauchen den Dienst nicht wirklich und die wenigen Nur-Mobilfunk-Zuschauer werden dem Service alleine wohl nicht zum Fliegen verhelfen, wie aus dem „Erfolg“ von diesen Diensten bei der Bundesliga bekannt ist.

Grundsätzlich gehen viele Mediendienste mit Bildern bzw. Filmsequenzen einher, was beispielsweise innerhalb eines Stadions mit 50.000 potenziellen Nutzern in einer UMTS-Zelle Probleme aufwirft. Gerade beim Fußball wird die Größe eines Displays zum zweiten Problem dieser Dienste. Dies führt zu der Erkenntnis, dass universelle Devices gebraucht werden, die alle Standards (WLAN, UMTS, Bluetooth, etc.) handhaben und vom User für alle Dienste genutzt werden können – da er wahrscheinlich nur ein Device mitnehmen wird. Dies ist aber vor allem von der Vermarktungsseite her bis 2006 unwahrscheinlich.

Vision² – Möglichkeiten für 2010

Zum Schluss der Vision zur WM 2006 noch einige Visionen, die aus dem Expertenkreis des Detecon Panels noch als erwähnenswerte Optionen für die WM 2010 gesehen werden, da sie bis 2006 definitiv noch zu weit weg sind

Einweg-Endgeräte

Durch die Etablierung von Einweg-Endgeräten könnten kurzfristig weitere Frequenzbereiche außerhalb der genutzten Frequenzen für Mobilfunk genutzt werden.

Vor allem für die Abdeckung des Mobilfunks bei Großereignissen ist dies eventuell eine interessante Lösung. Probleme bestehen vor allem in der Kombination mit dem bestehenden Mobilfunkgerät mit bekannter Rufnummer.

Pre- und Post-Event-Informationssystem

Auch nach der Veranstaltung kann das Handy stärker als Plattform für die Vermarktung von speziellen Angeboten wie z.B. Happy Hour, Parties, etc. genutzt werden. Der Erfolg hängt davon ab, inwieweit die Dienste einfach und intuitiv zu bedienen sind und wie sie die Vorteile des Mobilfunks, Ortsunabhängigkeit und Spontaneität ausnutzen.

Sicherheit und Authentifizierung über Mobilfunk Waren die Sicherheitsinteressen von Fußball-Veranstaltungen früher in erster Linie bestimmt durch die Vermeidung von Hooliganism, so wird 2006 in Deutschland mit Sicherheit auch der Schutz vor möglichen Terror-Attacken in den Vordergrund treten.

WiMAX

Videobreitband für mobile Endgeräte im Stadion mit Bandbreitenbedarf.

DVB-H

Parallele Verfolgung der TV-Übertragung der zeitgleich stattfindenden Partien auf dem Handy

Lokale Interaktion

Schaffung eines verstärkten „interaktiven“ Event-Charakters im Stadion, z.B. durch Gewinnspiele, Quiz, etc. über Handy

Group Meeting Point GPS-basiert

Wo/in welcher Kneipe sind meine Fan-/Gruppenmitglieder? Oder: Herr X hat seine Gruppe in der Menge verloren. Aber das ist kein Problem, da er per Group Meeting Point über das Handy zu seinen Bekannten geleitet wird.

Serviceereignis WM 2006!?

Fan-Services

Ein Fan will schlicht und ergreifend nah an dem Objekt seiner Sehnsucht sein.

Wenn schon nicht körperlich, dann virtuell. Alle irgendwie gearteten Chats, Informationen, Interaktionen mit Spielern, Trainern etc. sind da interessant. Darüber hinaus sind Informationen, die unmittelbar mit dem Besuch der Spiele und der Reise in Verbindung stehen, nach Einschätzung der Experten im Detecon Panel von Bedeutung.

Höchste Priorität haben aber spielbezogene Informationsdienste

– Vor dem Spiel: Natürlich die letzten News vor dem Spiel. Hat sich noch jemand beim Aufwärmen verletzt oder während des Spiels: Wie laufen die parallelen Gruppenspiele?

– Nach dem Spiel: Wo kann man abfeiern, ohne von gegnerischen Hooligans verprügelt zu werden?

– „Schlachtrufe“ aufs Handy

– Teilnahme an Chats / Videochats mit Spielern, Trainern, Experten

– Alle wichtigen Details mehrsprachig

– MMS als Fan-Devotionalien

– Fan-Club-Info

– Push-to-talk-Services für Fangruppen

– Analysen zum Spiel

– Spezielle Fandienste

– Mannschaftsbezogenes Merchandising

– Public Viewing Areas

– Rahmenprogramm für Fans, die keine Eintrittskarte bekommen konnten

Eine weitere hier als wichtig erachtete Servicekategorie sind Location-based- Services (LBS)

– Zum Finden des richtigen Eingangs

– Als Verkehrsleitsystem

– Zum Finden von Kneipen für die Feier nach dem Spiel mit den anderen Fans

VIP-Services

Für VIP-Services im Rahmen der WM 2006 treten ICT-Dienste nach Ansicht der Experten im Detecon Trendscouting Panel deutlich in den Hintergrund.

Komfort-Services und Exklusivitätsansprüche nehmen bei den zu erwartenden VIP-Services den breitesten Raum ein. Das Hotel, gutes Essen und Catering beim Spiel verbunden mit VIP-Shuttle-Services zwischen Hotel & Events, mannshohe VIP-Badgets, die man nicht übersehen kann, und vor allem Wellness sind die Serviceattribute die für VIP-Services wichtig erscheinen. Neben dem Rahmenprogramm für begleitende Familien finden sich noch einige Services, bei denen ICT in unterstützender Funktion tätig ist, damit der Zuschauer nichts verpasst.

– Für das Event Hopping kann eine Reminder-Funktionalität helfen, dem Termindruck standzuhalten.

– VIP Viewing Areas

– Touristinformation & Sightseeing

– Reservierungs-Service für Top-Restaurants

– Meet the stars Events – Essen mit Spielern oder „Lichtgestalten“ (Beckenbauer, Netzer, Pelé)

eTicketing

eCash

Eine Verbindung zwischen eTicket und eCash wird grundsatzlich skeptisch von den Detecon Experten gesehen. Wichtigste Grunde sind:

– Die Einfuhrung eines neuen Systems gegen etablierte Systeme muss eher langfristig angelegt werden, um von der Kundenakzeptanz her zum Massenmarkt kompatibel zu sein.

– Die Frage, wer den Service und insbesondere die relativ hohen Infrastrukturkosten fur die Terminals tragt, ist nicht abschliesend zu beantworten. Kunden werden im Zweifel die etablierten Systeme Kreditkarte und EC Cash bevorzugen.

– Wer tragt das Inkassorisiko und ab welchem Punkt? Dies ist eine Detailfrage, die aber eine sehr grose Bedeutung hat. Grundsatzlich druckt diese Fragestellung die hohe Komplexitat aus, die hinter einem solchen System stehen musste und die in dem bestehenden Zeithorizont wohl kaum zu realisieren ist.

– Wenn elektronische Losung, dann eher eine Mobilfunk Losung, die eCash und eTicketing mit einschliest.

Ein eTicketing-System mit einer eCash-Funktion wird hauptsachlich als Vorteil fur das Thema Parken gesehen, da hier eine Beschleunigung erreicht werden kann. Da bestehende Systeme auf Basis der EC- und Kreditkarte bereits vielerorts bestehen, wird kunftiger Erfolg auch hier sehr skeptisch beurteilt.

Generell wird auf stadionspezifische Systeme gesetzt, die auch uber die WM hinaus genutzt werden konnen. Solche Systeme bestehen zum Beispiel in der Arena auf Schalke bereits (allerdings mit separaten Systemen). Hauptmotivation ist die Vereinfachung der Service-Ablaufe vor Ort.

Hinsichtlich der Systeme im Hintergrund einer stadionspezifischen oder generellen Losung gibt es aber eine klare Festlegung hinsichtlich der Systeme fur Kreditkarte und EC-Karte. Nur Bezahlsystemen, die uber EC-Karte und Kreditkarte mit Guthaben versorgt oder nachtraglich abgerechnet werden konnen, wird eine Erfolgschance fur die WM eingeraumt.

Grundsätzlich wird es der Mix machen. Zuschauer aus dem Euro-Raum werden bereit sein, ein Prepaid-System auf Bargeld-Basis oder mit EC-Funktionalität zu nutzen. Internationale Kunden, vor allem aus Übersee, Afrika und Asien, werden wohl eher eine Kreditkarten-Funktionalität bevorzugen.

eSecurity

Stand 1998 und 2002 noch das Thema Schutz vor Hooligans als zentraler Security- Ansatz im Mittelpunkt, so ist seit dem 11. September 2001 der Schutz vor terroristischen Anschlägen bei internationalen Sportevents deutlich in den Vordergrund getreten. Das Thema Hooligans ist neben der Eindämmung des Schwarzhandels nur noch einer der weiteren Security-Aspekte, die für das elektronische Ticket sprechen.

Gerade diese weiterführenden Sicherheitsaspekte können mit einem elektronischen Ticket mit Security-Funktionalitäten gelöst werden. Problem ist aber die Kontrolle bzw. Kontrollintensität, die den Missbrauch schützt. Nur intensive Kontrollen können verhindern, dass zwischen Hooligans ein Tickettausch stattfindet, bzw. Tickets unter einem anderen Namen oder von einer anderen Person erworben werden.

Sind die Kontrollen gering, wird auch die Wirkung auf den Schwarzmarkt gering sein. Denn mit der Kontrollintensität steigt auch das Risiko, eine teure Schwarzmarktkarte erworben zu haben, die nachher wertlos ist.

Die Verbindung von eTicket und biometrischen Daten auf einer Karte stellt wieder eine hochkomplexe Herausforderung dar, die neben hohen Kosten kaum ein Mehr an Sicherheit bietet. Zumal auch ein Iris-Scan nichts darüber aussagt, ob der Inhaber der Karte Sprengstoff im Gepäck hat.

Was zusätzlich gegen die Zusammenführung der Daten auf der elektronischen Eintrittskarte spricht, ist, dass die Kombination von einfachen Ticketdaten mit dem Pass oder Personalausweis sicher die einfachste Lösung ist. Ob diese dann wieder einem gemeinsamen maschinenlesbaren Standard genügt, ist dann aber wieder von den langsamen internationalen politischen Mühlen abhängig, die für 2006 klar gegen eine einheitliche Lösung sprechen.

Das Detecon Expertenpanel sieht als die zentralen Daten in Verbindung mit dem Ticket – entweder darauf oder in Kombination mit einem Ausweis – ohnehin Foto und Passdaten an. Fingerabdruck und/oder andere biometrische Daten werden 2006 noch nicht realisiert werden können.

Ein wichtiger Aspekt, der bei einer Security-Lösung für 2006 eine Rolle spielt, ist vor allem eine mögliche Benachteilung der Kartenkontingente vieler afrikanischer und asiatischer Staaten, die auch 2006 nicht über maschinenlesbare Ausweise verfügen und wo die Diskussion über biometrische Daten in Pässen noch nicht in dem Maße geführt wird wie in den Staaten der 1. Welt.

Darüber hinaus muss jede Security-Lösung den gesetzlichen Anforderungen des ausrichtenden Landes genügen, was für Deutschland datenschutzrechtliche Bedenken zulässt.

Steuerung der Zuschauerströme

Die Steuerung von Zuschauerströmen hängt in erster Linie mit der Security-Lösung und der Trennung von Fanblöcken unterschiedlicher Mannschaften zusammen.

Hier gilt es, den schmalen Grad zwischen gewolltem interkulturellen Austausch und der Verhinderung von Gewaltexzessen zwischen rivalisierenden Fangruppen zu überwinden. Zentrale Fragestellungen sind, ob eine Computer-gestützte Anwendung einen problematischen Fan erkennen kann und ob aufgrund der Möglichkeit von Gewalt alle Fans einer Mannschaft in eine Art „Sippenhaft“ genommen werden können.

Diese Funktionalität wird von fast allen Experten im Detecon Panel klar verneint.

Eher wird die Funktionalität des einfachen Zugangs und des Auffindens der eigenen Plätze als der zentrale Vorteil herausgestellt. Gerade bei Sprachproblemen kann hier eine grundlegende Vereinfachung erreicht werden.

„Im Sinne des Events kommt man zu dem Schluss, dass alles, was für den Zuschauer als Vereinfachung zu sehen ist und was seine Wartezeiten minimiert, den Spaß am Event erheblich erhöht.“ Alle über den Zuschauerservice hinausgehenden Steuerungslösungen, wie beispielsweise die klare Trennung von Fangruppen zur Vermeidung von Gewalt, werden auch weiterhin eher eine polizeiliche Aufgabe bleiben, da nur deren Präsenz ein solches Aufeinandertreffen wirklich verhindern kann.

Bei der Verhinderung von illegalen Handlungen durch die elektronische Steuerung von Zuschauerströmen darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Speicherung von personenbezogenen Daten illegal ist.

Zuschauersteuerung über das Stadion hinaus

Eine Steuerung der Zuschauer über die WM hinaus scheitert nach Ansicht des Detecon Experten Panels vor allem an

– Der Komplexität der Vernetzung

– Dem Überwachungsgefühl, das für den Zuschauer an Big Brother erinnert und wahrscheinlich um ein Vielfaches einschränkender empfunden wird als die Zuschauersteuerung im Stadion

– Datenschutzrechtlichen Bedenken

– Den hohen Systemkosten bei einem Rollout eines solchen

Systems über eine relativ große Fläche.

Der Trennung von Fangruppen außerhalb des Stadions wird zwar eine gewisse Relevanz zugerechnet, aber dies ist durch eine elektronische Lösung nicht zu garantieren, sondern nur durch massive Polizeipräsenz.

Generelle Grenzen des Einsatzes von elektronischen

Steuerungsmöglichkeiten Eine zeitlich begrenzte Nutzung des eTickets in einer begrenzten Location kann ein Vorteil für den Nutzer sein und die Einschränkungen überkompensieren – vor allem, wenn beispielsweise ein vergünstigter Ticketpreis für die meisten Fans Grund genug wäre, partiell das Recht auf Privatsphäre bzgl. ihrer Transaktionsdaten abzutreten. Aber auch innerhalb eines Stadions besteht die Möglichkeit, dass die Zuschauersteuerung nicht als Enabler wahrgenommen wird, sondern als Begrenzer und Überwacher.

Skeptisch wird die Datenspeicherung generell im Hinblick auf möglichen Missbrauch und die Weitergabe an Dritte, vor allem aus der Werbewirtschaft, gesehen.

Die Komplexität eines Systems zur Zuschauersteuerung kann fast nie die notwendige Transparenz bieten, die den Nutzern eine Datenpreisgabe ohne Missbrauchsmöglichkeiten sorglos möglich macht.

Neben den engen Grenzen, die der Gesetzgeber für die elektronische Steuerung und die damit verbundene Datenspeicherung gesetzt hat, sollte grundsätzlich berücksichtigt werden, dass der Zuschauer mit einer positiven Stimmung ins Stadion geht. Eine Übertreibung des elektronischen Trackings verschiebt diesen Erlebniswert schnell ins Negative, wenn sich ein normaler Fan wie ein potenzieller Terrorist fühlen muss.

Informationssysteme & Systempartner

Ein vernetztes Informationssystem, das möglichst allen Partnern der WM 2006 die Möglichkeit bietet, ihre Leistungen mit anderen zu verbinden, ist nach Meinung der Experten im Detecon Trendscouting Panel eine schöne Vision, die aber in der Realisierung sehr komplex scheint.

Geschäftsprozesse

Eine Vernetzung auf der Basis bestehender Allianzen (Miles and More, Payback etc.) wäre vielleicht noch möglich. Aber ohne eine hoch komplexe ITK könnten nur sehr einfache Anwendungen unterstützt werden. Damit wäre der Kundennutzen sehr gering.

Die größten Chancen, an einer Informationsplattform zu partizipieren, hätten die ohnehin jetzt schon vernetzten Unternehmen aus der Reisbranche (beispielsweise Fluggesellschaften, Hotels, Mietwagenfirmen, etc.). Hier sind etablierte Systeme vorhanden, wo auch komplizierte Prozesse, wie beispielsweise Billing, über die Kreditkarte bereits funktionieren.

Angesichts des kurzen Zeithorizonts erscheint die Möglichkeit, viele Partner aus unterschiedlichen Ländern in ein Informationssystem einzubinden, deutlich zu knapp und wird als Vision für die WM 2010 gesehen. Details wie Vertragsmanagement, Inkasso und das Partnermanagement sind extrem aufwändige Prozesse, die in der kurzen Zeit bis 2006 wahrscheinlich nicht umsetzbar sind.

Dabei müssten viele Systempartner ihre Prozesse an standardisierte Schnittstellen anpassen. Großen Systempartnern mit sehr großen Transaktionsvolumina, wie beispielsweise das Amadeus System der Lufthansa oder Kreditkartenunternehmen, müssten individuelle Schnittstellen angeboten werden. Hierzu werden jedoch insbesondere diese großen Partner nicht bereit sein, da sie von ihren bestehenden weltweiten Systemen profitieren. Außerdem würde eine Anpassung dieser Systemlandschaft keinen erkennbaren Vorteil bieten, da man ohnehin auf sie zurückgreifen würde.

Nicht unberücksichtigt bleiben darf auch, dass jede Anbindung an eine ereignisorientierte Informationsplattform hohe Kosten und/oder Investitionen nach sich zieht, die sich in der kurzen Zeit der WM 2006 amortisieren müssten.

Grundsätzlich kommen die Experten zu der Einschätzung, dass die Koordination der Partner und mögliche Interessenkonflikte zwischen einzelnen Partnern schwieriger zu lösen sind als die technische Umsetzbarkeit.

ITK-Systeme

Rein technisch ist eine Informationsplattform nach Ansicht der Experten machbar.

Die eigentliche Problematik ist der Zeithorizont, der den Aufbau einer vernetzten Partnerplattform und deren Test bis 2006 verhindert.

Auch von der technischen Seite sind viele Einschränkungen mit begrenzender Wirkung absehbar. Dabei sind Schwierigkeiten durch unterschiedliche Mobilfunkgeräte einzelner Länder nur eine Facette.

Der vollständige Trendletter „WM 2006 – Sportfest oder virtuelle Welt“ steht bei Detecon kostenlos als Download zur Verfügung.

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