eBusiness-Standards aus Nutzersicht

eBusiness verspricht Produktivitätsgewinne, ändert Geschäftsprozesse wie auch die Wertschöpfungsketten. Allerdings müssen geschäftsrelevante Informationen und Transaktionen dafür in elektronischer Form so dargestellt werden, dass sie über Unternehmensgrenzen hinweg austauschbar sind. Grundlegend für den Erfolg von eBusiness ist also die Einigung auf gemeinsame Darstellungskonventionen oder Standards – und ihre Nutzung.

Die Nutzung von eBusiness-Standards in Unternehmen ist bislang kaum erforscht. Das ist nicht verwunderlich, wurden doch bis vor einigen Jahren lediglich über EDI und einige proprietäre Formate Daten in elektronischer Form zwischen Unternehmen ausgetauscht. Erst Ende der 90er Jahre mit der Betonung des B2B-eCommerce und den Möglichkeiten, die das Internet für diesen Zweck bietet, sind eine Reihe von neuen eBusiness-Standards geschaffen worden.

Ziel der im Rahmen einer Studie von Berlecon Resrearch im Auftrag des BMWA durchgeführten Unternehmensbefragung war, genauere Informationen über die Bedeutung von Standards in Unternehmen zusammenzustellen. Die Ergebnisse dieser Unternehmensbefragung liefern eine Bestandsaufnahme der Nutzung von eBusiness-Standards in vier ausgewählten Branchen der deutschen Wirtschaft. Die Ergebnisse zeigen auch, wo die Unternehmen Probleme in Bezug auf Standards und ihre Nutzung sehen, und sie geben Hinweise auf zukünftige Entwicklungen der Standardnutzung. Schließlich erlaubt es die Auswertung der Unternehmensbefragung, eine Balance zu finden zwischen der Standarddiskussion unter Experten und Softwareunternehmen – die bevorzugt von neuen Konzepten dominiert ist – und der Realität in den Unternehmen, die neue Technologien meist bedächtig adaptieren.

Die Unternehmensbefragung war auf vier Branchen beschränkt: IT- und Elektronikindustrie, Nahrungsmittelindustrie, Nahrungsmittelhandel, Maschinenbau. In diesen Branchen wurde im Januar 2003 eine telefonische Befragung von IT-Entscheidern in Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten durchgeführt.

Nutzung des elektronischen Datenaustauschs

Knapp die Hälfte der Unternehmen in den vier untersuchten Branchen pflegt in irgendeiner Form den elektronischen Datenaustausch mit Geschäftspartnern. Dabei zeigen sich allerdings klare Unterschiede nach Größe und Branche. Wie zu erwarten, ist der elektronische Datenaustausch in größeren Unternehmen (78%) deutlich häufiger anzutreffen als in kleinen (39%). Auch zwischen den untersuchten Branchen existieren teilweise deutliche Unterschiede. Am stärksten verbreitet ist der elektronische Datenaustausch im Nahrungsmittelhandel (62%). Alle anderen Branchen fallen im Vergleich dazu ab. Die IT- und Elektronikindustrie bildet mit 38% Daten austauschender Unternehmen das Schlusslicht.

An erster Stelle (29% der Nichtnutzer) steht die Aussage, dass (derzeit) kein Bedarf zum elektronischen Datenaustausch bestehe. An zweiter Stelle (22%) stehen Begründungen wie „keine Anforderungen durch den Markt“ oder „keine Anforderung seitens der Geschäftspartner“, die sich zu „niemand verlangt danach“ zusammenfassen lassen. Die große Bedeutung dieses Grundes lässt sich als vergleichsweise passive Grundeinstellung vieler Unternehmen interpretieren, die sich offensichtlich erst dann mit dem Thema auseinandersetzen, wenn ihre Geschäftspartner dies verlangen. Immerhin 12% der Unternehmen nennen als Grund, dass sie noch nicht für den elektronischen Datenaustausch vorbereitet sind, weitere 5% tauschen keine elektronische Daten aus, weil ihre Geschäftspartner noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Von vergleichsweise geringer Bedeutung ist nach Ansicht der befragten Unternehmen das Fehlen von Standards. Nur durchschnittlich 7% geben dies als Hauptgrund an.

Der elektronische Austausch von Daten ist für die meisten Unternehmen noch eine relativ neue Angelegenheit. Die Hälfte der Daten austauschenden Unternehmen hat damit erst ab 1995 begonnen, große Unternehmen früher als kleine. Treibende Kräfte hinter der Verwirklichung des elektronischen Datenaustauschs sind – zumindest nach eigener Auskunft – die Unternehmen selbst sowie deren Kunden.

Elektronischer Datenaustausch klingt nach komplexen EDV-Installationen, ist aber in den meisten Fällen noch eine sehr einfache Angelegenheit. Das beliebteste Medium für den elektronischen Datenaustausch ist nämlich eMail. 82% der Daten austauschenden Unternehmen transportieren auf diese Weise Geschäftsdaten, wobei diese Form in der IT- und Elektronikindustrie und im Maschinenbau besonders stark verbreitet ist. Die Nutzung des Internet für den Datenaustausch steht mit 71% an zweiter Stelle. Dies umfasst sowohl die Integration von Unternehmen über das Internet – also einen automatischen Datenaustausch – als auch die Nutzung von Websites. EDI-Netze, die traditionelle Infrastruktur für den vollautomatischen Datenaustausch, kommen an dritter Stelle.

EDI wird von zwei Dritteln der Daten austauschenden Unternehmen genutzt. Für die Nutzung sind auch nur langsam Änderungen zu erwarten, denn 70% der EDINutzer sind überzeugt, dass EDI auch in Zukunft für sie eine Rolle spielen wird. Bei neuen Projekten bevorzugt ein Viertel der EDI-Nutzer XML-basierte Lösungen; am stärksten ist die Bevorzugung in Branchen ohne große installierte Basis von EDI. Ein Ersatz von EDI-Lösungen wird aber kaum angestrebt.

Diejenigen Unternehmen, die EDI nicht nutzen, nennen hohe Kosten für die Netze und Software als wichtigsten Grund. Um diese Hindernisse zu beseitigen, ist vor einiger Zeit das Konzept von WebEDI ins Leben gerufen worden, bei dem die – meist kleinen Unternehmen – ihre Daten über eine Weboberfläche eingeben oder hoch laden und die WebEDI-Lösung dann aus diesen Daten EDI-Nachrichten erstellt. Die Nutzer einer solchen Lösung müssen also keine komplexen EDI-Lösungen installieren. WebEDI wird von einem Drittel der EDI-Nutzer in Anspruch genommen, von einem Fünftel selbst angeboten. Für die Zukunft sind deutliche Zuwächse zu erwarten.

Die Befragungsergebnisse zeigen, dass Schlüsselsysteme zur Identifikation von Produkten weit verbreitet sind. So gut wie alle Daten austauschenden Unternehmen haben Schlüsselsysteme im Einsatz, die meisten (87%) interne. Standardschlüsselsysteme wie EAN•UCC werden von 56% genutzt, in den Nahrungsmittelbranchen liegt die Nutzungsrate über 80%.

Identifikationsstandards wie EAN•UCC ersetzen allerdings häufig die internen Systeme nicht, sondern werden zusätzlich eingesetzt. Sie sind also Zweitschlüssel, die in erster Linie die Kommunikation mit Geschäftspartnern ersetzen. Eine Standardvielfalt entsteht daraus bei den meisten Unternehmen allerdings nicht. Drei Viertel der Unternehmen haben nicht mehr als drei Schlüsselsysteme zur Produktidentifikation im Einsatz. Deshalb wundert es auch nicht, dass die Mehrzahl der Unternehmen das Nebeneinander mehrerer Systeme nicht als Problem ansieht. Auch Warengruppenschlüssel bzw. Klassifikationssysteme zur Einordnung von Produkten in Gruppen sind in fast allen Unternehmen anzutreffen. Standards sind hier aber seltener als bei der Produktidentifikation, nämlich nur bei 33% der Daten austauschenden Unternehmen.

Die bekanntesten Klassifikationsstandards sind UN/SPSC und eClass, die auch am häufigsten eingesetzt werden. Damit werden die Experteneinschätzungen durch die Befragung bestätigt. Allerdings sind die absoluten Nutzungsraten sehr niedrig. Das stärkste Wachstum in den nächsten zwei Jahren ist beim Einsatz von eClass in großen Unternehmen zu erwarten, wenn sich die geäußerten Pläne der Unternehmen verwirklichen. Unternehmen nutzen relativ wenige Klassifikationssysteme parallel, deshalb sind Probleme aus einem Nebeneinander mehrerer Standards vergleichsweise selten. Allerdings äußern sich Nutzer von Standardklassifikationen leicht pessimistischer, was zumindest die Vermutung nahe legt, dass ein Teil der potenziellen Probleme erst im tatsächlichen Einsatz auftaucht. Unternehmen wünschen sich auch tendenziell mehr Einfluss auf den Standardisierungsprozess, besonders wenn sie bereits Standardklassifikationen einsetzen.

Von den Daten austauschenden Unternehmen tauschen 43% Katalogdaten aus. Besonders stark ausgeprägt ist diese Form des Datenaustauschs im Maschinenbau sowie in der IT- und Elektronikindustrie, in den Nahrungsmittelbranchen weniger. Am häufigsten werden Produktbeschreibungen ausgetauscht, im Maschinenbau allerdings Modellierungsdaten. Auch weitere Branchenunterschiede existieren.

Die Unternehmensbefragung bestätigt, dass simple Formate wie Word-, Excel- oder CSV-Dateien mit Abstand die häufigsten Austauschformate sind. Drei Viertel aller Unternehmen nutzen diese Formate. Bei Standardformaten für den Katalogdatenaustausch stehen die EDIFACT-Nachrichten PRICAT/PRODAT und seit langer Zeit etablierte Standards wie Datanorm/Eldanorm an der Spitze. Zuwächse sind in Zukunft bei EDIFACT-Formaten und bei BMEcat zu erwarten, letzteres besonders bei großen Unternehmen.

Die generelle Eignung existierender Formate für die Anforderungen der Unternehmen wird eher positiv beurteilt. Allerdings sehen die Unternehmen ein Problem in zu vielen Varianten einzelner Standards. Weniger stark ausgeprägte Probleme existieren in der Abbildung komplexer Preissysteme in die Standards und im Nebeneinander mehrerer Katalogaustauschformate.

79% der Daten austauschenden Unternehmen tauschen Transaktionsdaten aus. Damit steht der Transaktionsdatenaustausch an der Spitze aller untersuchten Arten des elektronischen Datenaustauschs. Besonders häufig unter den vier untersuchten Branchen ist der Transaktionsdatenaustausch in den Nahrungsmittelbranchen anzutreffen. Der Schwerpunkt des Datenaustauschs liegt auf klassischen Geschäftsdokumenten wie Bestellungen und Rechnungen.

Zur Übertragung von Transaktionsdaten werden in den Nahrungsmittelbranchen in erster Linie EDI-Formate eingesetzt, im Maschinenbau und in der IT- und Elektronikindustrie etwa gleichbedeutend EDI-Formate und einfache Text- oder Tabellendokumente. Für die Verbreitung von Standards folgt daraus, dass EDI-Standards wie EDIFACT oder EANCOM mit Abstand am weitesten verbreitet sind. XML-Standards sind dagegen von untergeordneter Bedeutung. Eine deutliche Änderung dieser Relation in naher Zukunft ist unwahrscheinlich, denn für EDI-Standards sind außerdem die geplanten Zuwächse am höchsten.

Insgesamt wird die Eignung existierender Standards als gut bezeichnet. Weil außerdem viele funktionierende Nicht-Standardlösungen im Einsatz sind, dürften sich neue Arten des Transaktionsdatenaustauschs nur langsam durchsetzen.

Probleme der Standardnutzung entstehen in erster Linie durch das Nebeneinander mehrerer Standards, aber auch hier nur bei einer Minderheit. Eine Herausforderung sind auch Sicherheitsaspekte, denn wie die Untersuchung zeigt, wird die Möglichkeit zur Verschlüsselung der Transaktionsdaten als vergleichsweise bedeutend eingestuft.

Die Nutzung von Prozessstandards ist derzeit in den vier untersuchten Branchen so gut wie unbedeutend. Allerdings könnte sich diese Situation in Zukunft ändern, denn 41% der Daten austauschenden Unternehmen habe ihre Prozesse auf die eine oder andere Art mit denen von Geschäftspartnern integriert, was zumindest eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Prozessstandards ist. Besonders häufig ist die Integration in der IT- und Elektronikindustrie anzutreffen.

Von den verschiedenen fachlich oder technisch ausgerichteten Prozessstandards sind die meisten weitgehend unbekannt. Die höchsten Bekanntheitsgrade und geplante zukünftige Nutzungen zeigen sich bei Biztalk sowie bei ebXML.

Die allgemeine Bedeutung von Standards für Unternehmen ist hoch. Die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass Standards die eigenen Intergrationsprobleme lösen. Wichtig ist für die Unternehmen, dass Standards kostenlos zur Verfügung stehen, noch wichtiger ist allerdings die Verbreitung. So würden immerhin 60% auch proprietäre Standards akzeptieren, die verbreitet sind. Von Bedeutung sind auch eine kontinuierliche Pflege sowie die Unterstützung durch etablierte Gremien. Diese Gremien sollten eng mit den nutzenden Unternehmen zusammenarbeiten, denn immerhin ein Drittel der Unternehmen ist der Ansicht, dass die existierenden Standards an der Realität in den Unternehmen vorbeigehen.

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