eCommerce-Segen mit semantischen Applikationen

Immer neue Herausforderungen bestimmen die Strategien der eShop-Betreiber. So wünschen sich Kunden sowohl eine transparente Plattform als auch individuelle Beratung. Abhilfe könnte ein adaptives eCommerce-System bieten, das auf Kundenanliegen reagiert und bedürfnisorientierte Angebote liefert. Stichwort: Semantic-Web, das durch konkrete eCommerce-Anwendungen die Bedürfnisse der Kunden und die Ziele der Händler erfüllen will.

1. Einleitung

Das Internet, wie wir es heute kennen, ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Allerdings wird noch immer nicht das volle Potenzial dieser Technologie ausgeschöpft. Noch muss der Kunde selbst entscheiden, ob das Suchergebnis richtig ist – hat beispielsweise die Suche nach „Golf“ ein Produkt für die Sportart oder etwa eine Reise zu einem Golf geliefert?

Mit dem Semantic Web wird das heutige Internet erweitert, so dass Computer die Inhalte lesen, interpretieren, untereinander austauschen und auch neue Erkenntnisse ableiten können. Konkrete eCommerce-Anwendungen sind beispielsweise semantische Produktbeschreibungen, bedürfnisorientierte Applikationen, Produktattributsuchen, modellbasierte Produktempfehlungssysteme und digitale, autonome Shopping-Assistenten. Der Kunde profitiert von besseren Suchergebnissen, passenden Produktempfehlungen, individuelleren Angeboten und einer höheren Markttransparenz. Der eShop-Betreiber kann durch den Einsatz der semantischen Technologie den Kundenstamm vergrößern, die Kundenzufriedenheit und -Loyalität erhöhen und schließlich mehr Umsatz generieren.

Im Folgenden wird neben ein paar aktuellen Herausforderungen im eCommerce-Tagesgeschäft das Semantic Web mit seinen Auswirkungen auf die elektronische Wertschöpfungskette skizziert. Semantische Applikationen versprechen hier nicht nur eine Lösung, sondern bilden auch die Basis für neue Geschäftsmodelle. Die Nutzung der semantischen Technologie wird den gesamten elektronischen Handel verändern, deren Einführung ist essenziell für Hersteller und Händler von Produkten sowie Anbietern von Dienstleistungen. An Hand von Beispielen wird der Einfluss des Semantic Web auf den eCommerce verdeutlicht.

2. Die Kundensicht

eCommerce kann heute für einen Kunden ziemlich frustrierend sein. Internet-Suchmaschinen liefern nicht das gewünschte Produkt, sondern führen im besten Fall zu einer Link-Liste. Aus dieser kann er dann ein paar eShops auswählen und dort seine Suche fortführen. Alternativ kann er eine Preissuchmaschine nutzen; diese liefert eine allgemeine Verweisliste auf eShops, die das gewünschte Produkt im Sortiment haben. Aber beinhaltet diese Liste alle eShops mit vergleichbaren Preisen zu diesem Produkt?

Wenn der Kunde die Produktsuche in einem eShop durchführt (was circa 80% aller Kunden tun), erhält er im Idealfall das gewünschte Produkt als erstes Suchergebnis. Doch wie sieht es aus, wenn der Kunde noch kein konkretes Modell im Sinn hat? Kann er seine Bedürfnisse „formulieren“ und danach Suchen? Erhält er individualisierte Produktempfehlungen?

Aus Kundensicht gibt es für das Einkaufen im Internet folgende Ziele:

– Einfache Auffindbarkeit gewünschter Produkte
– Bedürfnisorientierte Unterstützung zur Findung adäquater Produkte
– Markttransparenz (alle Angebote in eShops mit Preisen für das gewünschte Produkt)
– Idealziel I: Vergleichbarkeit aller Produkte im Internet, die den Suchkriterien entsprechen
– Idealziel II: Unterstützung durch persönliche, digitale Shopping-Assistenten im Web

3. Die eShop-Betreibersicht

Auch der Alltag des eShop-Betreibers sieht nicht immer rosig aus. Einerseits muss er ständig seine Produktkataloge pflegen, um dem Kunden ein aktuelles Sortiment mit ansprechenden Produktbeschreibungen zu bieten. Zusätzlich muss er diese Änderungen meistens auch in die Produktsuche, eventuell Produktempfehlungsfunktionen und andere Systeme übernehmen, respektive die entsprechenden Datenaustauschprozesse auf Funktionalität prüfen.

Andererseits möchte der eShop-Betreiber seine Produkte natürlich auch über das Internet findbar machen. Sind die Produktseiten optimiert für Internet- Suchmaschinen? Um auf Preisvergleichs- und/ oder Shopping-Portalen gelistet zu sein, müssen Feeds generiert und geliefert werden – abhängig von den Portalen in unterschiedlicher Frequenz und häufig in verschiedenen Datenformaten. Darüber hinaus sind meistens noch weitere Aspekte wie Aktualität der Angebote, auf das jeweilige Portal abgestimmte Produktsortimente und andere „Vorgaben“ zu berücksichtigen.

Aus eShop-Betreibersicht gibt es für das Verkaufen im Internet folgende Ziele:

– Einmaliger Aufbau der Warengruppen
– Nahtlose Vernetzung mit Lieferanten und Absatzmittlern
– Automatische Aktualisierung der Produkte und Produktbeschreibungen
– Idealziel I: Nahtlose Übernahme und automatische Aktualisierung der Produkteigenschaften von den Herstellern bei gleichzeitiger „globaler“ Findbarkeit
– Idealziel II: Adaptives eCommerce-System, das auf Kundenanliegen reagiert und bedürfnisorientierte Angebote liefert

4. Die Lösung – Semantic eCommerce

Den Begriff „Semantic Web“ hat der Gründer des World Wide Web und des World Wide Web Consortium (W3C), Tim Berners-Lee, im Jahr 2001 geprägt. Seine Vision war und ist die Verknüpfung der Internet-Inhalte auf Datenebene, so dass diese von Computern verarbeitet werden können. Bis jetzt sind Web-Seiten meistens nur von den Nutzern interpretierbar.

Semantic eCommerce beruht auf den Prinzipien des Semantic Web und stellt somit die nächste Generation von eCommerce-Applikationen dar. Bis dato wurden seitens der Forschung die wesentlichen Grundbausteine entwickelt und zumeist vom W3C offiziell standardisiert. Im Folgenden werden ein paar dieser Bausteine mit dem Fokus auf eCommerce kurz erläutert (die Liste ist unvollständig, die Beschreibungen stark vereinfacht):

URI (Uniform Resource Identifier)
Analog zur URL (Uniform Resource Locator) für Web-Seiten wird eine URI für die Identifikation jedes Objekts, beispielsweise eines Produkts oder einer Produktbeschreibung, verwendet

Ontologie
Mit Hilfe einer Ontologie wird mit einer speziellen Sprache die Realität nachgebildet und das Wissen darüber modelliert – hierfür werden „Konzepte“ erstellt und miteinander in Beziehung gebracht; Ontologien werden für die Darstellung von Warengruppen, Preismodellen, Kundenprofilen etc. genutzt

Ontology Learning
Dies dient als Oberbegriff grob für zwei Aspekte:
– Automatisches Erstellen einer Ontologie
– Ableitung von neuem Wissen (beispielsweise Zusammenhänge zwischen Produkteigenschaften) und damit Weiterentwicklung einer Ontologie

Ontologie-/ Wissens-Ingenieur
Dieser hat die zentrale Aufgabe, eine Ontologie zu erstellen und zu managen und nutzt hierfür computer-basierte Werkzeuge; zudem muss der Ontologie-Ingenieur den fachlichen Inhalt einer Ontologie, beispielsweise einer Warengruppe oder des Geschäftsmodells, so weit verstehen, dass er diesen modellieren kann – hierfür stimmt er sich mit der entsprechenden Fachabteilung in einer Unternehmung ab

Metadaten und semantische Anreicherung („Annotation“)
Um konkrete Gegenstände, beispielsweise ein Produkt und dessen Eigenschaften, einer Ontologie zuzuordnen, wird der Datensatz des Produkts mit semantischen Metadaten erweitert (das Produkt wird eine „Instanz“ der Ontologie); dies wird manuell oder tool-gestützt durchgeführt – im Prinzip werden neue Code-Zeilen integriert

Semantic Web Service
In existierende oder neue Web Services wird eine formale Beschreibung integriert und somit für Computer besser verarbeitbar; sinngemäß wird damit auch eine SOA-Anwendung (service-orientierte Architektur) zu einer semantischen SOA-Anwendung erweitert.

Mit Hilfe einer Ontologie ist also eine formale Beschreibung eines Inhalts gegeben. Damit wird einerseits die jeweilige konkrete Objektbeschreibung viel besser und vor allem durch Computer automatisch weiterverarbeitbar, andererseits können verschiedene Ontologien miteinander verknüpft werden; dies ermöglicht ein Ineinandergreifen verschiedener Beschreibungen.

5. Auswirkung und Nutzen von Semantic eCommerce

Im Folgenden wird kurz die Auswirkung der semantischen Technologie auf die zentralen Marktteilnehmer im elektronischen Handel aufgeführt sowie ein Szenario für eine Nutzung skizziert.

Beispielhafte Auswirkung von Semantic eCommerce mit Schwerpunkt auf den Kunden:

– Verbesserte Findbarkeit von Produkten im gesamten Internet, auch bei komplexen Fragen (beispielsweise nach mehreren Produkteigenschaften)

– Austauschbarkeit der Such-Applikation für das Finden von Produkten (sie muss „nur“ auf semantischer Technologie beruhen)

– Höhere Markttransparenz für Kunden respektive alle Marktteilnehmer, und damit eine bessere Vergleichbarkeit der Angebote

– „Dynamische“ Angebote/ Bundles durch Individualisierung

– „Intelligenter“ eCommerce durch lernende und adaptive Systeme

– „Automatisierter“ eCommerce durch assistentengestützte Aktionen

– Höhere Bedeutung von Vertrauen, Datenschutz und –sicherheit

Beispielhafte Auswirkung von Semantic eCommerce mit Schwerpunkt auf den EShop- Betreiber:

– Änderung der Wertschöpfungskette (Stärkere Interaktion zwischen Hersteller und Kunde, direkter Zugriff auf die Produktbeschreibungen des Herstellers durch den Kunden, automatischer Zugriff von Applikationen auf Beschreibungen, nur einmalige Datenaktualisierung erforderlich)

– Höherer Wettbewerb durch einen effizienteren Markt (Vergleichbarkeit der Angebote)

– Wandlung vom Angebots- zum Nachfragermarkt

– Stärkung des Long Tail – Nischenprodukte werden einfacher gefunden

– Bedeutungsverlust werblicher Aktivität

– Marktsegmentierung und geringerer Skaleneffekt

– Chancen für klein- und mittelständische Unternehmen

– Förderung innovativer Ansätze und neue Geschäftsmodelle

– Stärkere Internationalisierung des Markts

– Unternehmerisches Risiko für Hersteller und Händler bei Nichtnutzung der semantischen Technologie

-Bessere Auswertbarkeit von Aktionen und Transaktionen (auf Grund detaillierter Suchanfragen)

Der Vergleich der beiden Listen zeigt, dass sich Semantic eCommerce stärker auf die Unternehmensseite auswirkt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf nicht nur hinsichtlich der Technologie, sondern auch im Bezug auf Organisation, Management, Marketing und Vertrieb und schließlich die Positionierung und Sortimentsgestaltung. Die aktuellen eCommerce-Anwendungen müssen um die semantischen Elemente erweitert werden, wie beispielsweise die Schaffung einer Ontologie, gegebenenfalls die Verknüpfung untereinander und das Verweisen des konkreten Angebots auf eine Ontologie. Hinsichtlich der Rentabilität dieser Anstrengungen ist wie bei jedem Projekt eine Aufwand-Nutzen-Bestimmung empfehlenswert.

Beispielszenario für die Nutzung der semantischen Technologie:
Ein Hersteller hat die Warengruppe MP3-Player in einer Ontologie beschrieben und dieser seine eigenen Produkte zugeordnet. Nun kann der Händler dies alles einfach übernehmen und mit allen Details weiterverarbeiten. Falls der Händler eine eigene Ontologie für MP3-Player hat respektive eine Ontologie, in der er auch seine Konditionen beschreibt, kann er diese mit der Hersteller-Ontologie verknüpfen und somit die anderen MP3-Player in seinem Sortiment mit denen des Herstellers verbinden. Wesentliche Produkteigenschaften der verschiedenen MP3-Player sind nun vergleichbar, wie beispielsweise Speicher, Akku-Laufzeit und Abmessungen, zudem können Verbindungen aufgezeigt werden, wie beispielsweise die Akku- Laufzeit in Abhängigkeit des abgespielten Medienformats. Darauf aufbauend können alle weiteren Funktionen im eShop und Anwendungen im Internet diese „intelligente“ Warengruppenbeschreibung nutzen (dies ist natürlich auch möglich, wenn der Händler eine Ontologie hat und der Hersteller noch nicht). Die Produkte sind auch über Internet Suchmaschinen findbar und können mit anderen Angeboten im Internet verglichen werden. Neue Kunden können so leichter gewonnen werden – einerseits können diese nach Produkteigenschaften suchen, andererseits kann ein attraktives Angebot besser mit anderen verglichen werden.

6. Beispielhafte Anwendungen im Semantic eCommerce

eShop-Produktattributsuche:
Die semantische Beschreibung der Produkte erlaubt neue Produktsuchfunktionen. So kann der Kunde beispielsweise nach konkreten Produkteigenschaften wie „MP3- Player, 16 GB“ suchen – anschließend werden ihm nur MP3-Player mit einem Speicher von 16 GB angezeigt (innerhalb eines eShop, aber auch im Internet). Analog kann dem Kunden ein Konfigurator angeboten werden, mit dem er bequem durch die Wahl der gewünschten Produkteigenschaften die Produkte findet, die genau seinen Bedürfnissen entsprechen.

Vorteile: Bessere Suchergebnisse, höhere Kundenzufriedenheit, mehr Käufe

Produktempfehlungssystem:
Analog zu der Produktsuche im eShop kann eine Empfehlungsfunktion auf semantischer Technologie basieren. Hier können dem Kunden beispielsweise dialogbasiert Fragen gestellt werden, oder das System baut automatisch ein Kundenprofil auf (und vergleicht es mit anderen Profilen). Daraus werden dann die passenden Produktempfehlungen generiert.

Vorteile: Passende Empfehlungen, höhere Kundenzufriedenheit, mehr Käufe

Adaptives System:
Ein semantisches System kann sich den Kundenanliegen anpassen und Feedbacks
verarbeiten. Wenn beispielsweise ein Kundenprofil ein bestimmtes Produkt
häufiger kauft, wird dieses Produkt im eShop weiter oben dargestellt oder diesem
Kundenprofil (oder auch anderen) empfohlen. Nach welchen Kriterien das System
adaptiv gestaltet wird, hat eine strategische Komponente und muss durch eine
Unternehmung gemeinsam mit dem Ontologie-Ingenieur erarbeitet werden.

Vorteile: Passende Empfehlungen, höhere Kunden-Loyalität, mehr Käufe

Digitaler, autonomer Shopping-Assistent:
Voraussetzung hierfür ist meistens das Vorhandensein Semantischer Web Services. Der Shopping-Assistent unterstützt den Kunden beim Finden adäquater Produkte. Hierzu muss der Kunde dem Assistenten das gewünschte Produkt oder dessen Eigenschaften mitteilen (explizit und/ oder implizit), so dass dieser im Internet auf die Suche gehen kann. Im Endeffekt kann der Assistent auch den Kauf tätigen. Eine analoge Anwendung ist die Unterstützung durch einen Assistenten bei der Buchung einer Reise. Hier kann der Kunde den Zeitraum, Start und Ziel und weitere Wünsche wie Ausstattungen, Ausflüge und Interessen vorgeben, und der Assistent stellt ihm die passenden Angebote zusammen (Vergleich zu heute: Der Kunde muss noch mehrere Websites besuchen und mit relativ viel Aufwand die einzelnen Angebote vergleichen und zusammenstellen).

Vorteile: Individuelle Angebote, Markttransparenz, mehr Käufe

7. Fazit

Mit Semantic eCommerce eröffnet sich sowohl dem Kunden als auch dem eShop-Betreiber eine neue Dimension für das Ein- und Verkaufen im Internet. Enorme wirtschaftliche Potenziale und eine Vereinfachung des Kaufprozesses stehen einem höheren Initialaufwand gegenüber. Klar ist, dass die Vorteile der semantischen Technologie nur dann realisiert werden, wenn die Hersteller und Händler die Beschreibungen ihrer Produkte und Dienstleistungen in die nächste Generation überführen. Wenn das nicht gemacht wird, besteht das (unternehmerische) Risiko, dass diese Produkte schlechter verkauft werden (auf Grund der schlechteren Findbarkeit). Die Konsequenzen daraus sind ableitbar.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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