Es ist überall zu lesen: E-Commerce boomt! Fast alle größeren Unternehmen in Deutschland verkaufen über das Internet Waren und Dienstleistungen. Doch wie sieht es im Einkauf dieser Unternehmen aus?
Nur eine Minderheit nutzt bisher selbst das Internet für die elektronische Beschaffung. Ein allmählicher Sinneswandel zeichnet sich jedoch ab.
KMU, Großunternehmen und Konzerne sind einem stetig steigenden Kostendruck ausgesetzt. Nicht zuletzt deshalb versuchen sie, viele Unternehmensbereiche und Wertschöpfungsprozesse durch den Einsatz moderner DV-Technik zu optimieren. Lange wurde der Bereich Beschaffung dabei aufgrund der Komplexität und Heterogenität vernachlässigt. Doch gerade hier die Kostensenkungspotentiale immens. Diese Einsparmöglichkeiten sollen nun mit Hilfe des Internets realisiert werden. E-Procurement heißt das Schlüsselwort: Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für die elektronische Unterstützung und Integration von Beschaffungsprozessen.
Als Teil einer umfassenden E-Business-Strategie zielt E-Procurement auf die weitreichende Integration der Lieferanten in ein Business-to-Business-Netzwerk. So lassen sich signifikante Einsparungen erzielen, Ablaufprozesse und Bestellzeiten werden durch Automatisierung sowie Dezentralisierung deutlich verkürzt und durch die Minimierung von Fehlerquellen steigt die Qualität. Da jede Bestellung eines Unternehmens Ressourcen in Form von Mitarbeitern aus den Bereichen Einkauf, Controlling, Warenannahme sowie Rechnungswesen bindet, fallen im Durchschnitt pro Bestellung 150 Minuten an Arbeitszeit sowie 200DM an Kosten an. Aufwendungen, die im Verhältnis zum Beschaffungsvolumen oft sehr hoch sind. Gerade bei sogenannten C-Artikeln (Büromaterial, Werkzeug, Hygieneartikel, Reisen etc.) ist die Relation besonders unbefriedigend. Wenn man bedenkt, dass große Konzerne es pro Jahr auf mehrere 100.000 Bestellungen bringen, wird das Einsparpotential noch deutlicher.
Derzeit treten bei der C-Artikel-Beschaffung auf klassischem Wege noch folgende Probleme auf:
– hoher Zeitaufwand
– Missverständnisse und Irrtümer (z.B. durch Tippfehler) sind relativ häufig
– externe Geschäftspartner werden nicht integriert
– Prozessabwicklung oft über Papier oder Telefon
– Preis des Materials ist ausschlaggebend für die Kaufentscheidung und nicht die gesamten Transaktionskosten
– Weniger Zeit für den strategischen Einkauf (Vertragsverhandlungen, Preise und Konditionen)
Diese unbefriedigenden Systemkosten – häufig durch übermäßige Bürokratie in den Unternehmen mitverursacht – können durch den Einsatz von E-Procurement-Lösungen verringert werden. Dabei verfolgt man das Ziel, die Beschaffungsvorgänge durch zwei wesentliche Maßnahmen zu optimieren:
• Die Einkaufsabteilung konzentriert sich an zentraler Stelle um die Auswahl der Lieferanten und die Aushandlung der Konditionen in Form von Rahmenverträgen. Das hat den Vorteil, dass der Einkäufer nicht mehr einen Großteil seiner Zeit mit internem Papierkrieg und der Bearbeitung von Formularen und Beschaffungsanforderungen beschäftigt ist.
• Das eigentliche operative Geschäft wird zum Bedarfsträger vor Ort verlagert. Der Mitarbeiter arbeitet mit einer idealerweise selbsterklärenden Software, die auf an zentraler Stelle hinterlegte Produktkataloge zugreift. So können die administrativen Kosten, die sonst durch die Weiterleitung einer Bestellung von der Fach- zur Einkaufsabteilung angefallen sind, stark gesenkt werden. Darüber hinaus verkürzen sich auch die Beschaffungszeiten. Zusammengenommen kommt es durch die Automatisierung der Beschaffungsvorgänge zu einer Kostenreduktion.
Das Einsparpotential ist enorm. So kommt die Aberdeen Group zu folgendem Ergebnis: Die Material- und Dienstleistungskosten lassen sich um 5-10 Prozent reduzieren. Der durchschnittliche Zeitaufwand für einen kompletten Bestellvorgang lässt sich von 7,3 Tagen Weg auf 2 Tage verringern. Die Verwaltungskosten sinken von 107 US$ pro Auftrag auf 30US$ und bei den Lagerkosten können noch einmal Einsparungen in Höhe von 25-50% realisiert werden.
Desktop Purchasing Systeme
Besonders für die Beschaffung von Gütern mit geringer strategischer Bedeutung und hohem Automatisierungspotential kann eine Verlagerung im Unternehmen sinnvoll sein. Warum sollten Bestellungen für Güter, die der Instandhaltung, Reparatur oder dem operativen Geschäft dienen, umständlich erst über die Einkaufsabteilung geroutet werden? Diese auch MRO-Güter (Maintenance, Repair, Operations) genannten Produkte können besser direkt vom Mitarbeiter über sogenannte Desktop Purchasing Systeme (DP-Systeme) geordert werden. Mit diesem System kann jeder berechtigte Mitarbeiter die benötigten Artikel schnell und ohne Umwege aus den elektronischen Produktkatalogen der durch den Einkauf ausgewählten und freigegebenen Lieferanten zusammenstellen. Genehmigung, Durchführung, Kontrolle und Bezahlung der Bestellung erfolgen ebenfalls über das DP-System. Die Systeme verfügen in der Regel über eine leicht zu bedienende grafische Frontend-Oberfläche mit nur geringem Schulungsbedarf. Das Procurement wird dadurch dezentral vom Mitarbeiter-Arbeitsplatz aus organisiert, wobei natürlich Berechtigungskonzepte und Workflow zentral hinterlegt sind.
Warum der zögerliche Einsatz?
Viele Entscheider in den Unternehmen zögern noch, Purchasing-Systeme einzusetzen. Eine Ursache sieht KPMG vor allem im noch sehr intransparenten und dynamischen Markt für diese Systeme. Die momentan erhältlichen Produkte haben recht kurze Releasezyklen und stellen viele Unternehmen vor ein Dilemma. Denn einerseits besteht Unsicherheit hinsichtlich der bestmöglichen Desktop-Purchasing-Lösung und andererseits führt die abwartende Haltung dazu, dass zweifelsohne vorhandenes Einsparpotential nicht genutzt wird. Die meisten Organisationen, die Internet-Procurement Lösungen einsetzten, konnten 300% Return On Investment (ROI) im ersten Jahr erzielen.
E-Procurement in Deutschland
Auch in deutschen Unternehmen entwickelt sich der E-Commerce-Einkauf zu einem wichtigen Thema und die Reichweite von E-Procurement wird erkannt. Dennoch haben erst wenige bereits umfassendere Implementierungen in Angriff genommen. Die Mehrheit der deutschen Untenehmen steht noch am Anfang der B2B-Abwicklung im Einkauf. E-Procurement-Lösungen werden erst von 35% der Unternehmen eingesetzt und das zumeist im Pilot- oder Testbetrieb. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung von KPMG Germany. Insgesamt geben jedoch 75% der befragten Unternehmen an, E-Procurement zur internen Prozesskostensenkung in Zukunft nutzen zu wollen. Ebenso viele Unternehmen räumen der elektronischen Beschaffung von C-Artikeln einen hohen Stellenwert ein, wohingegen nur 5% auch A-Artikel über diesen Weg beziehen möchten.
Best Practice: Frankfurter Flughafen AG
Mittlerweile findet man bereits zahlreiche Beispiele für erfolgreiches E-Procurement. Sehr bekannt ist sicherlich die Anwendung Flughafen Frankfurt, wo nach der Einführung des Konzeptes „C-Artikel-Management im Intranet/Internet“ jährlich Kosteneinsparungen von 4,4 Millionen DM realisiert werden. Das Procurement-System ermöglicht es in- und externen Mitarbeitern, Bestellungen ohne direkte Einschaltung des Zentaleinkaufs durchzuführen. Die „Kunden“ (berechtigte Mitarbeiter des Flughafens Frankfurt) können dabei über Intranet und Internet aus Multimedia-Katalogen auswählen und die gewünschte Ware unmittelbar beim Lieferanten ordern. So hat man es in Frankfurt geschafft, den durchschnittlichen Zeitaufwand, der von der Bedarfsidentifikation bis zur Zahlungsanweisung früher 182 Minuten in Anspruch nahm, auf nunmehr 18 Minuten zu senken. Realisiert wurde diese Zeiteinsparung dadurch, dass vorher notwendige Bestellschritte wie die Vorab-Marktsondierung, Genehmigungsverfahren oder Rechnungseingangsbuchung nun vollautomatisch erledigt werden. Die durchschnittlichen Kosten pro Bestellung konnten infolgedessen von 279 DM auf unter 35 DM gesenkt werden. Nicht zuletzt deshalb wurde das Konzept der FAG vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) schon 1998 mit dem „Deutschen Materialwirtschaftspreis“ ausgezeichnet.
Ein neuer Katalogstandard
Ein Problem der bisherigen Handelsbeziehungen beim Einkauf war das Fehlen eines Standards für den Austausch elektronischer Artikelkataloge. Deshalb mussten die Datenbestände von Lieferanten und Empfänger immer wieder aufeinander abgestimmt werden. Allein im Internet kursieren über 160 verschiedene Katalogsprachen. Wenn man bedenkt, dass ein Konzern wie Siemens mit ca. 220.000 Zulieferer und ihren unterschiedlichen Produktkatalogen arbeitet, existiert hier eine beträchtliche Hürde. Dieses Hindernis hat nun der BME in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), den Universitäten Essen und Linz sowie Großkonzernen wie DaimlerChysler, Siemens, Deutsche Telekom, Lufthansa oder der Deutschen Bahn in Angriff genommen und den BMEcat-Standard entwickelt. Der BMEcat-Standard soll den Austausch von Produktdatenkatalogen zwischen Lieferanten und beschaffenden Organisationen standardisieren und vereinfachen.
Angesichts der schlagkräftigen Unterstützung durch die Wirtschaft werden der raschen Etablierung gute Chancen eingeräumt und ein großes E-Procurement-Problem scheint gelöst. Beratungsunternehmen wie PriceWaterhouse Coopers werden wohl Recht behalten, wenn sie davon ausgehen, dass E-Procurement sich innerhalb der nächsten Jahre zu einer Standardanwendung in Unternehmen entwickelt.