Erfolgreich finanzieren in der Krise

Der rasante Abschwung der neuen Märkte hat die zeitweise flammende Leidenschaft professioneller Investoren in frostige Kälte verwandelt. Und dennoch gibt es Gegenbeispiele. Wie man als Dotcom-Unternehmen auch heute noch potentielle Geldgeber überzeugen kann, verrät unser aktueller Artikel.

Wie legitimieren Wagnisfinanziers diese Entscheidungen? Und welche Geschäftskonzepte überzeugen sie in diesen uneuphorischen Zeiten? Basierend auf zehn Fallstudien von Risikokapitalfinanzierungen aus den Jahren 2000 bis 2002 gibt dieser Artikel erste Hinweise auf das erfolgreiche Management des Beteiligungsprozesses und die Gestaltung eines durchschlagenden Unternehmenskonzeptes.

Ergebnisse der Studie:
Seit Mitte der 90er Jahre ließ sich auch in Deutschland eine Welle von Unternehmensgründungen in der Net Economy beobachten. Start-ups – verbunden mit einem auf die Digitalisierung von Geschäftsprozessen ausgerichteten Geschäftskonzept (Electronic Business) – sammelten Risikokapital, machten durch spektakuläre Börsengänge auf sich aufmerksam und erfreuten Investoren durch Traumrenditen. Ein Blick in die Tagespresse im Jahr 2003 zeigt schnell: Die Euphorie ist verflogen; Ernüchterung und Pessimismus haben sich schon lange in allen Teilen der Wirtschaft breitgemacht. Die Gründerwelle ist auf ein Normalmaß abgeebbt und kapitalsuchende Unternehmer sehen sich seit nunmehr gut zwei Jahren einer Dürreperiode ausgesetzt. Niemand wagt es, das Ende dieser Durststrecke zu prognostizieren. Vom Höhepunkt der Euphorie aus gesehen haben sich die Investitionen von Wagniskapitalfinanziers zwischenzeitlich halbiert. Die Krise der Wagnisfinanziers ist nun allgegenwärtig. Der Wandel in der Wahrnehmung der Net Economy führt dazu, dass die ehemaligen Spekulationsobjekte nunmehr nur noch mit Ernüchterung betrachten werden. Diese Negativstimmung – verursacht auch durch teilweise unseriöses Verhalten einiger Unternehmer und genährt durch publikumswirksame Gerichtsprozesse – zieht ebenfalls seriöse Marktteilnehmer in Mitleidenschaft.

Dennoch: Das Finanzierungsvolumen der deutschen Venture Capital-Branche befindet sich immer noch auf einem Niveau, das weit über dem unterentwickelten Markt für Wagniskapital der 80er und 90er Jahre liegt. So hat es nur auf den ersten Blick den Anschein, dass eine Finanzierung von Unternehmen der Net Economy in der Early oder auch Later Stage unmöglich geworden ist. Dieser Eindruck täuscht jedoch; der Unwillen der Anleger an den Börsen findet nicht zwangsläufig seine Entsprechung in der Weigerung von Venture Capital-Gebern, ihre Fondsmittel in eBusiness-Unternehmen zu investieren. Denn viele der Argumente für elektronische Geschäftsmodelle haben ihre Gültigkeit behalten und werden nun von den Unternehmen an die geänderten Marktverhältnisse angepasst. Darüber hinaus: Break-even-Meldungen aus den Start-ups nehmen täglich zu, während sich die Insolvenzen der Branche stabilisieren.

Wie jedoch zehn Fallstudien aus den Jahren 2000 bis 2002 zeigen, haben sich Venture Capital-Geber keineswegs auf die reine Pflege und Bereinigung ihrer bestehenden Portfolios zurückgezogen. Zu den Unternehmen, die auch nach dem Stimmungsumschwung erfolgreich Wagniskapital aufnehmen konnten, zählen sowohl sehr junge Start-ups als auch verhältnismäßig reife Unternehmen aus der Expansion Stage oder der Later Stage. Diese werden antizyklisch finanziert von Business Angels, Venture Capital-Gebern und auch immer noch von Corporate-VCs, denen man auf Grund der engen Konzernanbindung vielfach nur prozyklische Investitionsstrategien unterstellt. Die Bandbreite der finanzierten Geschäftsmodelle entspricht den vielfältigen Möglichkeiten der Net Economy. Verkaufsunterstützung und -beratung, klassische eCommerce-Modelle und virtuelle Marktplätze stellen immer noch gültige Themen dar. Content-Management, Wissensmanagement sowie mobile Applikationen werden von vielen Investoren weiterhin als zukunftsträchtige Investmentbereiche erachtet. Die Märkte, auf denen in der Krise finanzierte Unternehmen aktiv sind, ähneln also denen der späten 90er Jahre. Was aber hat sich geändert? Wie lautet die Equity-Story 2003, die den Venture Capital-Geber überzeugt?

Lösung I: Gestaltung des Geschäftskonzeptes
Die Schlüsselfaktoren, nach denen Investoren suchen, haben auch über den Zyklus hinweg Bestand. So müssen VC-taugliche Geschäftsmodelle noch immer in zukunftsträchtigen Märkten angesiedelt sein, sich durch Skalierbarkeit auszeichnen und auch Folgeinvestoren die Möglichkeit zur Partizipation an Steigerungen des Unternehmenswertes bieten. Wachstum allein ist jedoch kein Argument mehr; die Kundenlösungen der finanzierten Unternehmen sollten Probleme von tatsächlicher strategischer Bedeutung adressieren. Dabei fällt auf, dass diese Konzepte immer weniger an den Kriterien eines euphorisierten Kapitalmarkts orientiert sind, sondern echte Kundenbedürfnisse adressieren.

Der Wandel der äußeren Rahmenbedingungen muss nicht immer negativ betrachtet werden. Das harsche wirtschaftliche Umfeld und die zahlreichen Probleme, denen sich etablierte Unternehmen ausgesetzt sehen, ermöglichen unzählbar viele neue Geschäftsmodelle. Unternehmer, die helfen, ihre Kunden auch in konjunkturell angespannten Zeiten erfolgreich zu machen, haben weiterhin bei Verhandlungen um Venture Capital gute Karten. Widerstandsfähige Alleinstellungsmerkmale des Produkts erhöhen diese Chancen ebenfalls, sollten aber in signifikanten Märkten erarbeitet worden und auch tatsächlich erfolgsrelevant sein. Margenstärke und Unabhängigkeit des Produktes von einzelnen Märkten können ein Trumpf sein. Die Bewährung des Konzeptes im Operativen erleichtert die Verhandlungen. In Gesprächen mit Investmentmanagern wird die Bedeutung des Managements für den Erfolg immer wieder deutlich. Dennoch ist allen Beteiligten klar, dass ein Gründungsmanager nicht immer auch ein guter Wachstumsmanager sein muss. Trifft dies im Einzelfall zu, so ist jedoch nicht unbedingt vom Misserfolg der Verhandlungen auszugehen. Gerade dann mag es sinnvoll sein, einen VC als starken Partner mit an Bord zu nehmen, der genau diese Probleme durch sein Netzwerk lösen kann. Teamgründungen mit komplementären Kompetenzen werden zwar favorisiert; Lücken im Team lassen sich jedoch selbstredend ausgleichen.

Der Sinn einer VC-Finanzierung ist es, mittelfristig positive Cash Flows zu erwirtschaften. Den Investoren ist also durchaus bewusst, dass Cash-Flow-Positivität zum Zeitpunkt der Verhandlungen nicht erwartet werden kann, auch nicht, wenn Unternehmen bereits zu späteren Entwicklungsstufen fortgeschritten sind. Finanzseitig erfährt jedoch gerade das Start-up-Controlling eine ungeheuere Professionalisierung. Dabei muss diese nicht von vorneherein gegeben sein; die Formalisierung auch anderer interner Prozesse und Kontrollmechanismen darf durchaus sukzessive – bspw. parallel zur wachsenden Zahl der Kunden – erfolgen. Finanzierte Unternehmenskonzepte haben es geschafft, darzustellen, in welcher Weise sie Marktgesetze ändern werden. Sie meiden dabei eine zu schnelle Internationalisierung, die noch vor wenigen Jahren – im Zusammenhang mit dem alle anderen Vorgaben überschattenden Wachstumsziel – vorherrschend war.

Die Fallbeispiele der Studie „E-Venture-Capital“ (große Ansicht)

Lösung II: Management des Beteiligungsprozesses
Während noch in 2001 von einem idealtypischen Beteiligungsprozess gesprochen werden konnte, der sich in Wochen (typischerweise 8-12) abwickeln ließ, so muss heute von Beteiligungsprozessen ausgegangen werden, die Monate andauern und sich durchaus bis zu einem ganzen Jahr erstrecken können. Zieht man zusätzlich den Zeitraum in Betracht, den ein Unternehmer benötigt, bis er erstmals mit einem prinzipiell investitionsbereiten Wagniskapitalgeber in Kontakt kommt, so beginnen viele Unternehmer tragischerweise zu spät mit der Suche nach Eigenkapital.
Den besten Unternehmen gelingt es, auch unter Marktgegebenheiten, die nicht unbedingt dem Kapitalnachfrager in die Hände spielen, unter den Investoren eine Wettbewerbssituation zu schaffen, die dem Management Handlungsfreiheiten eröffnet. Wer kann, führt die Due Diligence gleichzeitig mit mehreren interessierten Investoren durch. Businesspläne, welche die rigide Vorprüfung der Entscheider überstehen, zeichnen sich inzwischen durch fokussierte Argumentation, eine rigide Kostenplanung und entsprechende Sachlichkeit aus. Venture Capital-Geber sehen dabei naturgemäß am liebsten erfahrene Unternehmer – nicht, weil diese einen Businessplan schreiben, um herauszufinden, wie ein Markt funktioniert, sondern weil diese ihre Pläne an ihr vorhandenes Marktwissen anpassen.

In diesem Zusammenhang ist es eher unproblematisch, wenn bekannt wird, dass ein Unternehmen nach Investoren sucht. Kritisch wird die Suche erst dann, wenn lange nach Investoren gesucht wird. Man sollte meinen, dass aufgrund der großen, noch nicht investierten Fondvolumina auf Seiten der Investoren ein entsprechender Anlagedruck vorhanden ist, der dazu führt, dass Kapitalvermittler als Türöffner zu VC-Gesellschaften obsolet geworden sind. Dem ist jedoch keineswegs so; die Fallstudien haben gezeigt, dass die Beauftragung von Intermediären den Prozess wesentlich beschleunigen kann und sich dadurch bezahlt macht.

Hinsichtlich der Ermittlung des Unternehmenswertes und der Gestaltung der Beteiligungsverträge liegen die Vorteile aufgrund der Marktverhältnisse ganz klar bei den Kapitalgebern. Die Bewertung kann dem Unternehmen nun vielfach diktiert werden und die Verträge sollen das Bewertungsrisiko für die Investoren zusätzlich reduzieren.

Ausblick
Es hat sich gezeigt, dass antizyklisches Investieren keinesfalls mit einem Vabanquespiel gleichgesetzt werden darf, sondern vielmehr von durchaus rationalen Erwägungen geleitet wird. Damit soll nicht gesagt sein, dass Investitionsstrategien der Vergangenheit leichtfertig und voreilig waren; vielmehr sehen wir uns nach der Euphorie der Aktienmärkte mit einer Professionalisierung des gesamten Beteiligungsprozesses auf beiden Seiten konfrontiert. Nun punkten Geschäftskonzepte, die in weiten Teilen auf die veränderte Lage der Kunden in einem neuen Abschnitt der Branchenentwicklung zugeschnitten sind (z.B. durch die Ermöglichung von Kostenreduktionen). Deutschland sammelt dabei gerade erste Zyklus-Erfahrungen. Die aktuell finanzierten Geschäftsmodelle tragen nicht mehr allein den Wünschen des nächsten Finanziers oder den Hoffnungen eines tendenziell unkritischen Börsenpublikums Rechnung, sondern konzentrieren sich vielmehr auf die tatsächlich vorhandenen Bedürfnisse der Kunden. Man kann also eine durchaus als erfreulich zu bewertende Entwicklung konstatieren; das ehemalige Spekulationsobjekt „Net Economy“ wird gerade jetzt zum ernstzunehmenden Wirtschaftsobjekt und kann in Ruhe darangehen, seine immanenten Stärken auszuspielen. Die Erkenntnisse aus den Fallstudien lassen sich vor diesem Hintergrund auf fünf zentrale Argumente für eine Dot.com-Finanzierung trotz Wirtschaftskrise verdichten:

Argument 1:
Das Geschäftsmodell erfüllt selbstverständlich die klassischen Kriterien hinsichtlich Skalierbarkeit, klar definiertem Kundennutzen und ist in Zukunftsmärkten angesiedelt. Allerdings sind die Leistungen der angeschlagenen allgemeinen Stimmung angepasst; das Start-up-Unternehmen hilft, die Probleme des Abschwungs zu lösen und geht echte wunde Punkte an.

Argument 2:
Die Manager des Unternehmens blicken teilweise auf jahrzehntelange Erfahrung zurück; sie kennen die Methoden der Konzerne aus der Praxis und implementieren diese Konzepte im Start-up so schnell wie möglich und wo immer es sinnvoll erscheint.

Argument 3:
Die Planung des Unternehmens ist fokussiert, nüchtern und zurückhaltend. Sie trägt der „neuen Sachlichkeit“ der Wagnisfinanziers Rechnung.

Argument 4:
Die Steuerung des Unternehmens wird durch bewährte Controlling-Konzepte unterstützt; auf modische Kennziffern wird verzichtet. Das Controlling-System ist dabei an die Erfordernisse eines jungen Wachstumsunternehmens angepasst.

Argument 5:
Das Produkt schafft echte Umsätze. Dem Unternehmen gelingt es, die Marktgesetze wesentlich zu beeinflussen und teilweise sogar zu ändern. Internationalisierung wird lediglich als Option betrachtet und nicht als Pflicht verstanden.

Der vorliegende Beitrag stammt aus der Publikation „E-Venture-Capital: Unternehmensfinanzierung in der Net Economy – Grundlagen und Fallstudien“ von Tobias Kollmann und Andreas Kuckertz, erschienen beim Gabler Verlag. Sie können das Buch direkt bei Amazon bestellen.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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