Gaming – raus aus dem Kinderzimmer und rein in virtuelle Lebenswelten?

Ob auf dem Computer, auf Spielekonsolen oder mit dem Handy, ob online oder unvernetzt – der Gaming-Sektor bietet viele Möglichkeiten – und das jedes Jahr ein Stück näher an der Realität oder gar durch Erschaffung neuer (virtueller) Realitäten wie bei „Second Life“. Eine große Chance auch für neue Angebote traditioneller Medienunternehmen, denn Gaming birgt mit zunehmend ähnlichen Zielgruppen-, Vermarktungs- sowie Formatstrukturen ein enormes Potenzial, das alles andere als nur virtuell ist.

Wurde noch vor 30 Jahren Monopoly mit Spielgeld und Hotels aus Holz, Solitär mit Karten oder Räuber und Gendarm hinterm Haus gespielt, so lassen sich heute jegliche Spielarten durch Mausbewegungen oder Tastenkombinationen auf einen Bildschirm übertragen. Auch im Gaming werden episodenhafte Formatentwicklungen, Reichweitenaufbau, Vermarktungskompetenz, Entwicklung übergreifender Themen für unterschiedliche Formate zunehmend relevant – Kompetenzen, die auch für „klassische“ Medienunternehmen entscheidend sind. Neben dem klassischen Prototyp des „Hardcore Gamer“ ist der typische „Casual Gamer“ in den vergangenen Jahren den Konsumenten klassischer Medien – allen voran die große Masse der TV-Durchschnittszuschauer – immer ähnlicher geworden. Bei ihm sind insbesondere Spiele mit geringer Komplexität und einem einfachen Prinzip gefragt, die keine große Übung erfordern.

Spiele- und Spieler-Typisierung

Die Gruppe der „Casual Gamer“ besteht momentan noch vornehmlich aus Männern – der Frauenanteil liegt nach aktuellen Studien bei etwa 40 Prozent, doch schon für das Jahr 2010 wird ein Anstieg auf bis zu 63 Prozent prognostiziert. Auch beim Nutzungsverhalten der Frauen wird es zu Veränderungen kommen: Begeistern sie sich heute noch hauptsächlich für Brett-, Lern- und Turnierspiele, gewinnt die Spieleindustrie Frauen doch zunehmend als Zielgruppe für andere Genres. Mit Erfolg, wie der Absatz von Spielen wie beispielsweise Die Sims, Nintendogs, SingStar oder Buzz belegt. Auch im Online-Bereich sind neue Trends zu beobachten. Hier erfreuen sich vor allem aufwendige Spiele mit ausgeprägten Online-Funktionen wie beispielsweise der Ego-Shooter Battlefield 2142 oder das Rollenspiel World of Warcraft auch bei weiblichen Zielgruppen wachsender Beliebtheit. Communities für Online-Games, die Frauen auch als Plattform für Turniere (Tournaments) gegeneinander nutzen, verzeichnen immer mehr Zuwachs.

„Silver Gamers – please, start your engines“

Silver Gamer

An Bedeutung gewinnt auch die Zielgruppe der „Silver Gamer“, die Generation 50 plus. 13 Prozent aller deutschen Computerspieler sind über 50 Jahre alt – Tendenz steigend. Durch den Eintritt der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge in die Rentenphase wird dieses Segment für die elektronische Spieleindustrie immer interessanter. „Silver Gamer“ spielen typischerweise nicht nur zum Zeitvertreib. Auch der soziale Kontakt zu anderen Spielern in Online-Foren stellt eine wichtige Motivation für sie dar. Der typische Silver Gamer hat andere Ansprüche an ein Spiel als andere Spieler – er will im Spiel abgeholt werden und bevorzugt neben Casual Games vor allem realitätsnahe Simulationen und Strategiespiele.

Für viele Silver Gamer bedeuten Computerspiele auch Training für das Gehirn, indem sie Gedächtnis und Reflexe trainieren. Beliebt bei dieser Zielgruppe sind vor allem Wirtschafts- und Flugsimulationen, die von 41 Prozent der Zielgruppe bevorzugt werden, sowie Strategiespiele und Adventures, die jeweils fast ein Drittel der älteren Spieler ansprechen. Rollenspiele und Multiplayer-Games sind mit sieben Prozent noch eher von geringer Bedeutung.

Plattform, Bezugsmodelle und Spielarten

Zielgruppenunabhängig lässt sich der Gaming-Markt entlang der drei Dimensionen Plattform, Bezugsmodelle und Spielearten segmentieren. Zu den klassischen Plattformen zählen PCs und Konsolen. Mobile Konsolen, Handhelds und Mobile Phones haben sich erst in jüngster Zeit aufgrund der technologischen Entwicklung als interessante Zielbereiche für Spiele-Publisher erwiesen. Der Vertrieb der Spiele erfolgt in erster Linie über Box DVD/CDs, wobei dies vornehmlich für PCs, Konsolen und Handhelds gilt. Spiele für Mobiltelefone werden überwiegend über einen PC aus dem Internet heruntergeladen.

Wachstumstreiber Online-Spiele und Konsolen

Trotz seiner vergleichsweise geringen Größe ist das Marktsegment der Rollenspiele mit ausgeprägter Online-Funktion für die Branche von erheblicher Bedeutung. Mit diesem Segment sind zwar relativ hohe Entwicklungskosten verbunden, aber auch beträchtliche Umsatzpotenziale – vorwiegend durch die Nutzungsgewohnheiten der Hardcore Gamer und basierend auf neuen Lizenzmodellen – sowie sehr gute Wachstumsprognosen durch den Ausbau in Richtung des „Casual Gaming“.

Umsätze Gaming-Software

Ähnlich verhält es sich bei Konsolen und PCs. Der Markt für Konsolen und PC-Spiele war 2006 von der Zurückhaltung vor dem Launch der neuen Konsolen von Nintendo und Sony geprägt und das sowohl bei Hardware wie auch Spielekäufen. Doch wird erwartet, dass auch dieser Markt wieder deutlich an Dynamik gewinnen wird, was insbesondere auf dem Erfolg internationaler Mega-Seller, Lizenzvermarktungen im Bereich Sport und Filme sowie kreativen Neuentwicklungen beruhen wird. Höhere Qualität (HD), verstärkte Connectivity und neue Formate, wie zum Beispiel regelmäßig über den Internetanschluss der Konsole herunterladbare Spiele-Sequels, bieten weitere Chancen für steigende Umsätze.

Weltweites Spielfeld – Internet

Online-Gaming ist für Medienunternehmen vor allem im Bereich der Browser- und Download-Spiele von Interesse, da es hier eine hohe Zielgruppenaffinität gibt, in erster Linie bei Frauen und Silver Gamer. Zukünftig ist ein starkes Wachstum in diesem Segment zu erwarten, bis 2010 kommt es A.T. Kearney-Prognosen zufolge zu einem Anstieg von durchschnittlich 65 Prozent pro Jahr. Der Markt für Casual-Download-Spiele ist stark fragmentiert, wodurch eine große Abhängigkeit der vielen kleinen Spieleentwickler von reichweitenstarken Portalen entsteht. Hier existieren zudem auch „Aggregatoren“, welche die einzelnen Spiele auf technischen Plattformen bündeln und dann Sites und Portalen gegen Gebühr zur Verfügung stellen wie beispielsweise Midasplayer oder 4Players.
In diesem Segment besteht vor allem für Medienunternehmen mit umfassenden Vermarktungskanälen die Möglichkeit, sich als Retailer zu profilieren. Zudem wird Digital Publishing in der Gaming-Wertschöpfungskette zunehmend wichtiger. Bei der Bereitstellung und Aufbereitung von Spielen und Content für verschiedene Medien werden sich die großen Portale zukünftig durch ihr Know-how und ihre Ressourcen am Markt durchsetzen.

Weitere Erlösquellen lassen sich in den Bereichen In-Game-Advertising, digitale Rechteverwaltung (DRM) als auch durch Download-, Abo- oder Event-Umsätze erschließen. Die Ertragssituation für Online-Portale von Medienunternehmen bleibt jedoch meist überschaubar. Im umsatzstarken Bereich der Core Games, der jedoch eine geringe Affinität zur Zielgruppe vieler traditioneller Medienunternehmen aufweist, dominieren etablierte Publisher wie Electronic Arts (EA), Sony und NC-Soft den Markt mit einem Anteil von über 80 Prozent. Sie legen ihren Schwerpunkt auf das umsatzstärkste Segment der Rollen- und Strategiespiele. Die Produktionskosten bei diesen Spielen erreichen mittlerweile eine Spanne von bis zu 16 Millionen Euro.

Neue Genres – neues Wachstum

Derzeit lässt sich ein Umbruch des gesamten Spielemarktes erkennen, welcher ein enormes Wachstumspotenzial in sich birgt. Das Verschmelzen der verschiedenen Gaming-Plattformen, die wachsende Interaktivität einzelner Spielekategorien sowie neue Formen der Distribution demonstrieren die Anpassung des Marktes an individuelle Bedürfnisse der Spielergemeinde. Nicht nur der Übergang zur multimedialen Nutzung von PCs, Konsolen und Handhelds, auch die Entwicklung von Spielen, die auf verschiedenen Plattformen genutzt werden können (Integrated Games), spiegeln diese Entwicklung wider. Es entsteht ein Markt für neue Spielekategorien wie Trivia Games oder Karaoke, bei denen Interaktivität im Vordergrund steht (Buzz und SingStar!). Eine episodenhafte Veröffentlichung von Spielen ähnlich einer Daily Soap erhöht zudem die „Stickiness“ von Portalen für den Nutzer. Beispiel Final Fantasy: Zunächst ausschließlich für die Playstation 1 und 2 erschienen, zielt die Entwicklung des Spiels auf eine immer breiter werdende Verfügbarkeit ab – von einer Bereitstellung für andere Plattformen bis hin zur geplanten Erweiterung auf dem Download-Sektor mit episodischem Charakter. Schon heute besteht die Möglichkeit, Demos oder Add-Ons über Internet-Plattformen herunterzuladen. Letztlich wird auch der gesamte Vertrieb eines Spiels digitalisiert.

Second Life: Virtuelle Welten mit realen Umsätzen

Viel mehr als „nur“ ein Spiel ist die größte virtuelle Online-Welt „Second Life“ mit bereits über 1 Millionen registrierten Nutzern, die sich in einer fotorealistischen 3-D-Welt eine zweite Existenz aufbauen können. Diese Welt ist so attraktiv, dass die „Bevölkerung“ jeden Monat um 35 Prozent wächst.
In einem eigenen virtuellen Wirtschaftssystem werden alle Inhalte von den Bewohnern selbst geschaffen. Die Anmeldung und der Basis-Account sind kostenlos. Geld verdient Anbieter LindenLab mit dem Verkauf von virtuellen Grundstücken und anderem digitalen Gut. Gezahlt wird in „LindenDollars“, die – tagesaktuell notiert – gegen echte Dollars getauscht werden. Aktuell werden mehr als 7 Millionen US-Dollar pro Monat in der virtuellen Volkswirtschaft umgesetzt, die jeden Monat um 15 Prozent wächst.
Der Handel mit virtuellen Gütern und Dienstleistungen blüht bereits und zahllose neue Marketing- und Vertriebsideen scheinen nur auf ihre Umsetzung zu warten: Nach Adidas hat bereits auch Reebok einen Second Life-Store eröffnet. Nissan besitzt bereits eine ganze Insel, auf der man neue Fahrzeuge testen kann, Toyota USA verkauft virtuelle Modelle seines neuesten Modells (Scion xB) und Musikstars geben Online-Konzerte, bei denen man mit ein wenig Glück sogar die erste virtuelle Immobilienmillionärin kennen lernen kann. Getreu dem LindenLab Werbeslogan „Your World. Your Imagination“.

Digital Lifestyle forciert PC- oder Konsolennutzung

Für die Nutzer gewinnt Home Entertainment immer mehr an Bedeutung. Und so wird auch durch den immer wichtiger werdenden Digital Lifestyle die Nutzung von PCs oder Konsolen im Wohnzimmer zunehmen. Hier bietet sich ein enormer Startvorteil für TV-Sender. Sowohl die TV-zentrierte als auch die Konsolen- bzw. PC-zentrierte Ausrichtung bei der Nutzung multimedialer Inhalte zeigen eine Entwicklung hin zu mehr Funktionalität und Design. Set-Top Boxen besitzen schon heute Schnittstellen, die den Zugang zu den verschiedensten Inhalten ermöglichen. Der Trend weg vom grauen Einheitsdesign hin zu individuellen, modernen Formen und Farben lassen auch den PC Einzug in das Wohnzimmer halten, wo er sich zu einem Multimedia-Server entwickelt hat. Auch die Spielekonsolen der nächsten Generation lassen sich auf vielfältige Weise nutzen. Sie kombinieren neue Technologien mit einer vollständigen Vernetzung, um die Möglichkeit zu digitalem Vertrieb von Dienstleistungen und Inhalten zu wahren. Bestes Beispiel hierfür ist die aktuelle Konsole von Microsoft, die X-Box 360. Sie besitzt ein eingebautes Modem und Wireless LAN, die den Nutzer exklusiv mit dem teilweise abopflichtigen Dienst X-Box Live verbinden. Der Server von X-Box Live fungiert als zentrale Schnittstelle, die den User zu den Plattformen anderer Publisher wie Ubisoft verbindet, von wo aus verschiedene Features wie Multiplayer Gaming oder Downloads von Expansion Packs angeboten werden. Zusätzlich bietet die X-Box 360 verschiedene Wege der Online-Kommunikation, wie Real-Time Voice- und Video-Messaging, über die sich die Spieler austauschen können. Der Gewinn von verschiedenen Design-Preisen zeigt, wie wohnzimmertauglich die Konsolen mittlerweile sind. Konkurrent Sony rüstet seine demnächst erscheinende Playstation 3 für höchste Realitätsansprüche mit einer nie da gewesenen Rechenpower – inklusive Blu-ray Player und revolutionärer 3D-Engine – aus und plant noch weiter reichende Online-Features als Microsoft sowie den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur.

Neue Vertriebswege

Veränderungen auf der Hardwareseite implizieren dementsprechend auch eine Veränderung des Bezugsmodells für den Gaming-Markt. Bisher galt der Offline-Markt als gängige Distributions-Plattform der klassischen Box-CD/DVD-Spiele. Inzwischen existiert aber auch eine große Online-Community aus Hardcore- und Core-Spielern, die eine interessante Zielgruppe für digitale Distribution darstellt. Momentan ist lediglich eine Bereitstellung von Demos oder einzelnen Modulen möglich, jedoch werden zukünftig dank immer schnellerer Breitband-Verbindungen Downloads von kompletten Spielen selbstverständlich. Auch der Bereich der Download-Spiele ist davon betroffen.

Die wachsende Speicherkapazität mobiler Geräte macht die an Komplexität zunehmenden Spiele auch auf Handhelds verfügbar. Während Sonys PSP schon heute als nahezu vollwertige Spielekonsole angesehen werden kann, benötigen Mobiltelefone noch einige wenige Modellgenerationen, um über ähnliche Fähigkeiten zu verfügen. Nicht zuletzt wegen der eingeschränkten grafischen Fähigkeiten der Mobiltelefone sind noch fast zwei Drittel der Handy-Spiele so genannte „Puzzles“ wie z.B. das gute alte Tetris. Action- und Sportspiele machen dagegen nur 30 Prozent der Downloads aus.
Für diese Java- oder Shockwave-basierten Webbrowser-Spiele, die auf Casual Player ausgerichtet sind, existieren bereits heute zahlreiche Online-Portale, die dem Nutzer den unbeschwerten Genuss von Spielen „für zwischendurch“ ermöglichen.

Vom Kino bis zur Spielekonsole

Der cross-mediale Ansatz des Gaming-Sektors bietet für Medienunternehmen enorme Marktchancen. Seit einiger Zeit werden Kino- oder TV-Produktionen – von Beginn an als Teil der multimedialen Verwertungskette geplant – routinemäßig in Spiele umgesetzt. Oder aber es wird der umgekehrte Weg beschritten, wie das Beispiel Silent Hill zeigt. Sportwettkämpfe, die bisher auf Konsolen und PCs ausgetragen wurden, finden als eSports mittlerweile auch großen Anklang im TV – ein Beispiel hierfür ist die PlayStation Liga.

Werbung in Spielen, das In-Game-Advertising, ermöglicht einen zusätzlichen Finanzierungszweig von neuen Games – und entspringt vielfach dem Wunsch der User nach möglichst lebensnaher Darstellung der virtuellen Welten: Da dürfen dann auch Billboards mit aktuellen Kampagnenmotiven bei einer Verfolgungsjagd durch Großstadtstraßenschluchten keinesfalls fehlen. Allerdings ist der kommerzielle Nutzen dieser Trends momentan noch nicht abschließend zu beurteilen. Sicher scheint jedoch, dass sie in Zukunft von Spieleindustrie und Werbewirtschaft gleichermaßen vorangetrieben werden.
Bereits während der Entwicklungsphase eines Spiels besteht die Möglichkeit des Publishing und Advertising. Reportagen auf Gaming-Websites oder -Portalen, Community-Events und Podcast- oder TV-Berichte bieten den interaktiven Geschäftsfeldern der Medienunternehmen schon im Vorfeld immenses Kommunikationspotenzial – und damit auch ein interessantes Werbeumfeld für innovative Marken.

Spielekategorien und -trends

Fazit

Die Möglichkeiten der „Schönen neuen (virtuellen) Welt“ sind nicht nur der Traumfabrik Hollywood oder den innovativen Entwicklungsstudios des Silicon Valleys vorbehalten. Auch für traditionelle Medienunternehmen ist die Chance gegeben, rechtzeitig entsprechende Kompetenzen, Plattformen und Marken aufzubauen, bevor auch dieses Geschäft verteilt ist. Von Leserreisen in die virtuelle Welt bis zum Aufbau von digitalen TV-Spielekanälen: die Marktpotenziale scheinen schier unbegrenzt. Um diese nutzen zu können, wird es in erster Linie darum gehen, neue Formate und Angebote auf der Basis der ureigenen Kernkompetenzen von Medienunternehmen zu entwickeln: Unterhaltung, Information, Kreativität und Orientierungshilfe.

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