Hochfliegende Pläne – wenige Erfolge: In der Praxis bestimmen die etablierten Zahlungsverfahren des traditionellen Handels mehr denn je das europäische Online-Geschäft. Anstelle von Innovationen bevorzugen die Online-Shopper die ihnen vertrauten Systeme aus dem stationären Einkauf. Vom innovativen Handel erhoffen wir uns mehr.
Zur Jahrtausendwende, also nur vor wenigen Jahren sprachen die Apologeten der „New Economy“ vom eingeläuteten Paradigmenwechsel in der Wirtschaft und völlig neuen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. In dieser Voraussicht mündete der rasante Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien im fundamentalen Wandel des Produktions- und Dienstleistungssegments. Mit diesem Strukturwandel in der Realwirtschaft sollte auch der fundamentale Strukturwandel bei den Zahlungstransaktionen einhergehen. Die Prognosen priesen die Vorzüge digitaler Zahlungssysteme und sahen die letzten Tage des dinglichen Bargeldes anbrechen. Doch die Euphorie der „New Economy“ fand mit dem Platzen der Blase an den Aktienmärkten ihr jähes Ende. Vormals positiv bewertete innovative Geschäftsmodelle wurden nun zumeist kritisch beäugt. Die Revolution der „New Economy“ fraß ihre Kinder. Tatsächlich lässt die im New-Economy-Hype postulierte Revolution des traditionellen Handels durch das Online-Geschäft bis zum heutigen Tage auf sich warten.
Sehr deutlich wird dies bereits bei den im Online-Handel verwendeten Zahlungsverfahren. Idealerweise sollen Zahlungssysteme die vieldimensionalen Anforderungen von Verkäufer und Käufer ausgewogen berücksichtigen. Diese Anforderungen beziehen sich auf die neun Kriterien (empfundene) Sicherheit, Konsistenz der Information (hinsichtlich Höhe, Ausführungszeitpunkt und Zweck der Transaktion), Totalität (im Falle unbeabsichtigter Datenkorruption darf die Zahlung das Konto des Schuldners nicht belasten), Nichtbestreitbarkeit, Transaktionskosten, Verbreitungsgrad, Anonymität, Handhabung und Portabilität (Nutzung über verschiedene Medien und Endgeräte). In ihrer Ausprägung können sich die von den Vertragspartnern formulierten Anforderungen durchaus auch widersprechen.
In der Praxis bestimmen die etablierten Zahlungsverfahren des traditionellen Handels mehr denn je auch das europäische Online-Geschäft – mit regional unterschiedlichen Facetten. Denn während beim Online-Shopping weltweit die Kreditkarte dominiert, setzen speziell die deutschen Käufer verstärkt auf das elektronische Lastschriftverfahren. Beispielsweise bieten nur knapp 40% der deutschen eShops überhaupt die Möglichkeit zur Zahlung mit speziell zugeschnittenen Online-Zahlungssysteme an. Bemerkenswert ist, dass die traditionellen Offline-Zahlungssysteme (Rechnung, Vorkasse, Nachnahme) ihren Marktanteil im deutschen eCommerce 2005 gg. Vj. um 0,7%-Punkte auf 6,5% steigerten. Damit nutzen die Online-Shopper seltener als zuvor die Möglichkeiten der innovativen Zahlungssysteme und vertrauen noch stärker auf die ihnen aus dem traditionellen Handel lieb gewonnenen Systeme.
Die Zurückhaltung gegenüber innovativen Angeboten zeigt sich im Zahlungsverhalten besonders deutlich, existiert aber auch im Online-Handel mit Gütern; wie die folgenden drei Phänomene belegen: Erstens kauft der deutsche Online-Shopper in über 90% der Fälle bei deutschen Shops – obgleich ihm mit dem Internet Shops in der gesamten Welt offen stehen. eCommerce orientiert sich damit sehr stark an Ländergrenzen. Sprachliche Barrieren sowie die Befürchtung, eigene Forderungen in anderen Rechtsräumen nicht nachdrücklich durchsetzen zu können, erklären dies. Zweitens ist bemerkenswert, dass das Gros der Online-Käufe wochentags zwischen 10 und 18 Uhr stattfindet – trotz der Möglichkeit, rund um die Uhr einzukaufen. Dies liegt vor allem daran, dass Online-Käufe bevorzugt am stationären Computer des Arbeitsplatzes veranlasst werden. Drittens erstaunt, dass der eCommerce nicht etwa in ländlichen Regionen mit dünner Geschäftsdichte, sondern vielmehr in Ballungszentren, d.h. in unmittelbarer Nähe zum traditionellen Handel seinen Schwerpunkt findet. Offensichtlich profitiert der Online-Handel von der fortentwickelten Kommunikationsinfrastruktur und der Affinität der Konsumenten in den urbanen Ballungsräumen.
Innerhalb der traditionellen Geschäftszeiten kaufen Großstädter bei inländischen Anbietern und zahlen per Kreditkarte oder Überweisung; also letztlich nichts Spannendes im eCommerce? Weit gefehlt! Denn der Warenkorb, der über den elektronischen Ladentisch geht, verändert sich deutlich. Der Zahlungssystemanbieter Pago erkennt bei seinen 2005 abgewickelten eCommerce-Vorgängen einen enormen Boom des Online-Glücksspiels und des Klingelton-Verkaufs. Im deutschlandweiten Ranking der Transaktionen liegt das zuvor quasi unbedeutende Spiel- und Wettgeschäft (durchschnittlicher Warenkorbwert EUR 100,34) nun auf Platz drei – hinter dem Einzelhandel (EUR 26,01) und dem Telekom-Bereich (EUR 3,01), der sich vorwiegend auf den Verkauf von Klingeltönen beschränkt.
Mit dem Schwerpunkt bei Glücksspiel und Klingeltönen ist der eCommerce in seiner nachhaltigen Entwicklung einem großen Risiko ausgesetzt. Dieses Risiko bezieht sich in verschiedenen Facetten auf die Bereiche Reputation und Regulierung. Erstens könnte der eCommerce mit diesem Fokus in der öffentlichen Meinung generell an Seriosität einbüßen. Als Folge könnten die Erfolgsaussichten anders gelagerter eCommerce-Angebote deutlich zurückgehen. Zweitens ist der eCommerce wegen seiner typischen Nutzungssituation am Arbeitsplatz bereits heute einigen Arbeitgebern suspekt. Mit der Wahrnehmung als wenig seriöser Spiel- und Spaß-Bereich könnte das Gros der Unternehmen dazu übergehen, den eCommerce am Arbeitsplatz grundsätzlich zu unterbinden. Drittens wird mit dem Erfolg der Glücksspiele die Spielsucht in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sportwetten ist der Gesetzgeber bereits aufgerufen den Glücksspiel-Bereich neu zu ordnen. Die Basis des Glücksspiel-Geschäfts steht damit auf dem Prüfstand. Viertens wird der Verkauf von Klingeltönen mit der besorgniserregenden Verschuldung der Jugendlichen verbunden und daher – wie im Beschluss der deutschen Bundesregierung zur „Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften“ vom 17.05.06 dokumentiert – vom Gesetzgeber immer wieder kritisch beäugt.
Vertrauen und Reputation sind bei Transaktionen im anonymen digitalen Raum besonders wichtig. Damit sich die Wirtschaftsakteure überhaupt auf die innovativen Angebote des eCommerce einlassen, müssen Mehrwert und ein hohes Maß an (empfundener) Sicherheit gewährleistet sein. Insgesamt ist dem Wirtschaftsstandort Deutschland zu wünschen, dass sich der eCommerce bald über das mit traditionellen Zahlungssystemen abgewickelte Glücksspiel- und Klingelton-Geschäft hinaus entwickelt und mittelfristig zu wirklich mehrwertigen Angeboten für Privat- und Geschäftskunden – vom Banking über den Gesundheitsbereich, bis hin zur Telematik – gelangt.