Internet verändert Medizin

Ein Webportal erleichtert Herzspezialisten die Arbeit. Mit einem im deutschen Gesundheitswesen bisher einzigartigen Online-Angebot will der Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK e.V.) die Qualität der ärztlichen Versorgung verbessern.

Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen stellen hier zu Lande die Spitze der Erkrankungsraten und Todesfälle dar. Experten gehen davon aus, dass die aktuelle Entwicklung im Gesundheitswesen die Situation der Herzpatienten in den nächsten Jahren noch weiter verschlechtern wird. Denn hohe fachliche Spezialisierung, aber auch teure Technik und moderne diagnostische Möglichkeiten sind für eine optimale Betreuung notwendig. „All dies kann vom niedergelassenen Kardiologen wohnortnäher und wesentlich kostengünstiger als von traditionellen Krankenhausstrukturen angeboten werden“, ist Dr. med. Franz Goss überzeugt. Der Internist und Kardiologe ist Geschäftsführer der BNK-Service GmbH in München, die zu Jahresbeginn vom Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK e.V.) als Dienstleistungsunternehmen gegründet wurde.

Eine ihrer Hauptaufgaben besteht darin, Behandlungserfolge zu dokumentieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse bei den Vertragsverhandlungen zur strukturierten Versorgung ebenso zu berücksichtigen wie beim Abschluss von selektiven Verträgen mit den Krankenkassen. Zu diesem Zweck hat die BNK-Service GmbH ein Qualitätsmanagement-Programm (eQM) entwickelt, das zunächst ein Register zur Behandlung von Patienten mit koronarer Herzerkrankung enthält und in Zukunft um weitere Krankheitsbilder erweitert werden soll.

Das dient gleichzeitig der in Deutschland bisher stark vernachlässigten Versorgungsforschung, in deren Rahmen die Behandlungsprozesse und deren Ergebnisse im ärztlichen Alltag analysiert, Defizite und deren Ursachen aufgezeigt sowie Handlungsempfehlungen für die Gesundheitspolitik und die Selbstverwaltung gegeben werden soll. Im Gegensatz zur klinisch-medizinischen Forschung betrachtet die Versorgungsforschung immer auch die Rahmenbedingungen, unter denen Patienten behandelt werden. Einzige Voraussetzung für eine Teilnahme an diesem Programm ist ein Internet-Anschluss und eine Zugangsberechtigung mit Passwort.

Funktionsfähiger Prototyp nach nur zwölf Wochen

In dem Register wird der diagnostische und therapeutische Behandlungspfad eines Patienten auf einer webbasierten Datenbanklösung abgebildet, und zwar anhand eines DMP-fähigen Datensatzes (Disease Management Programm) und nach Maßgabe der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung. Die Entwicklung des Blutdrucks, der Cholesterinwerte oder anderer Laborergebnisse über einen bestimmten Zeitraum lässt sich darin ebenso nachvollziehen wie etwa die Reaktion auf verabreichte Medikamente oder beispielsweise die Teilnahme an Schulungen zur Umstellung der Ernährungsgewohnheiten.

Entwickelt wurde die Lösung von dem Münchner New-Media-Dienstleister eggs unimedia. Dessen Fachleute realisieren mit der von ihnen entwickelten Methode des „Rapid e-Prototyping“ auch komplexe Internet-Anwendungen sehr schnell. „Dabei geht es darum, dass wir rasch erste Module eines funktionsfähigen Pilotsystems programmieren, das dann schrittweise gemeinsam mit dem Auftraggeber optimiert und weiter ausgebaut wird“, beschreibt Entwicklungsleiter Michael Deiß die in zahlreichen Projekten bewährte Vorgehensweise. Eggs unimedia zählt zu den wenigen Anbietern in der Branche, die diese Methode in ihren Projekten anwenden.

Technische Grundlage der browserbasierten Anwendung im BNK-Serviceportal ist der Applikationsserver ColdFusion MX des amerikanischen Softwarehauses Macromedia und ein Microsoft SQL-Server für die Datenbank. Mit Hilfe entsprechender Entwicklungswerkzeuge realisierten die Programmierer des IT-Dienstleisters einen Prototyp des Portals mit der eQM-Anwendung innerhalb von nur zwölf Wochen, der sich bereits von Anfang an praktisch nutzen ließ. In der Datenbank können zum jeweiligen Registereintrag Dokumente in beliebigen Formaten hinterlegt werden – seien es Laborprotokolle, Röntgenaufnahmen oder die Herztöne des Patienten.

In dem gesamten Prozess war auch die Beratungsleistung von eggs unimedia gefragt. „Das System steht und fällt mit der Qualität der erfassten Daten“, weiß Deiß. Deshalb haben die Entwickler durch integrierte Plausibilitätskontrollen dafür gesorgt, dass Falscheingaben möglichst ausgeschlossen werden und insgesamt die Datenerfassung auch für nicht so mit Informationstechnik vertraute Anwender – wie eben Sprechstundenhilfen oder Ärzte – komfortabel und einfach ist. Darum müssen auch nur im jeweiligen Kontext sinnvolle Angaben gemacht werden.

„Wenn es sich beispielsweise um einen männlichen Patienten handelt, ist die Frage nach eventuellen Schwangerschaften überflüssig“, nennt Deiß ein konkretes Beispiel. Die bisherige Vorgehensweise bei solchen Feldstudien, bei denen die Daten aus dem Praxiscomputer des Arztes zunächst auf Erfassungsbögen aus Papier übernommen und anschließend wieder in ein IT-System zur statistischen Auswertung übertragen werden, ist sehr anfällig für Irrtümer. „Zum Teil liegt hier die Fehlerquote bei 80 Prozent der Rückläufer“, hat Dr. Goss feststellen müssen. Mit dem webbasierten Tool kann dieser Wert dagegen deutlich reduziert werden.

Sensible Patientendaten geschützt

Durch eine Schnittstelle zur Online-Arzneimitteldatenbank IFAP-Index lassen sich deren Inhalte direkt in die Anwendung übernehmen, so dass dort Informationen zu den einzelnen Medikamenten zur Verfügung stehen. „Neben der Benutzerfreundlichkeit waren wir vor allem an einer Lösung interessiert, die dem Arzt ein schnelles Feed-back seiner Behandlung ermöglicht“, nennt Dr. med. Franz Goss eine weitere Zielstellung. Denn dadurch könne der Mediziner sofort erkennen, wie der Stand einer Behandlung sei und wo noch therapeutischer Handlungsbedarf bestehe. Durch den Vergleich mit anderen Patientengruppen – das Benchmarking – lassen sich Trends und Gemeinsamkeiten besser darstellen. Gleichzeitig kann der niedergelassene Kardiologe sehr einfach die leitliniengerechte Behandlung nachweisen, was bisher recht kompliziert war.

Ein besonderes Augenmerk haben die Verantwortlichen auf das Thema Sicherheit und die konsequente Einhaltung sämtlicher Erfordernisse des Datenschutzes gelegt. So sind eine gesicherte Informationsübermittlung durch Verschlüsselung und der kontrollierte Zugang über ein individuelles Passwort ebenso vorgesehen wie eine professionelle Datenbankpflege und -sicherung sowie die Berücksichtigung der Auflagen des Datenschutzbeauftragten. Für ein Höchstmaß an Sicherheit sorgt auch die strikte Trennung der Praxiscomputersysteme mit den detaillierten Patientendaten und der webbasierten Qualitätsmanagementapplikation.

So sind sämtliche erfassten Krankheitsverläufe anonymisiert und nur mit den Initialen des Patienten, seinem Geschlecht und dem Geburtsdatum gekennzeichnet. Lediglich über die ebenfalls gespeicherte Praxis-EDV-Nummer ist eine Zuordnung zu den Patientendaten möglich. „Dies kann aber nur der Arzt oder eine von ihm beauftragte Person mit Zugang zum Praxiscomputer tun“, betont Dr. Goss. Die Informationen, die zum Beispiel für das Benchmarking oder als Auswertung den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, sind dagegen völlig anonym.

Auf Perspektive – so Internet-Experte Deiß – sei es durchaus anzustreben, dass heutige Praxiscomputersysteme und webbasierte Portale für das Qualitätsmanagement unter dem Stichwort „Elektronische Patientenakte“ zusammenwachsen – natürlich unter Wahrung der notwendigen Sicherheits- und Datenschutzbestimmungen. Durch die weitere Verbreitung von Webservices sei auch die Einbindung anderer Ärzte und Krankenhäuser denkbar. Dies ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Erforschung von Wechselwirkungen verschiedener Medikamente von großer Bedeutung. Denn zum Beispiel machen Arzneimittel, die vom Orthopäden verschrieben werden, manchmal die verordneten Pillen und Tabletten des Herzspezialisten wirkungslos.

Vom Patientenportal zur elektronischen Patientenakte

In ein solches Patientenportal, auf das über einen gesicherten Zugang sowohl der Kranke als auch seine Ärzte jederzeit Zugriff haben, könnten auch E-Learning-Angebote – etwa zur Hypertonieschulung oder zur Ernährungsberatung – verfügbar gemacht werden. Schließlich würde die Einbeziehung der Apotheken den Service für die Patienten weiter verbessern. So könnten Medikamente über ein „elektronisches Rezept“ online bestellt und über die lokale Apotheke oder per Post zugestellt werden.

Doch solche Überlegungen, deren Realisierung wesentlich zur Kostensenkung im Gesundheitswesen beitragen würde, sind heute noch Zukunftsmusik. Der bisherige Erfolg des Projekts stimmt die Beteiligten allerdings optimistisch. So waren bereits drei Monate nach seinem Start über 1.000 Patienten in dem Register erfasst – Ziel des Pilotvorhabens sind rund 2.000 Fälle. Etwa 100 Praxen von niedergelassenen Kardiologen mit etwa 300 bis 400 Ärzten beteiligen sich daran bereits aktiv. Dr. med. Franz Goss: „Wenn wir dann Ende des Jahres mit einem noch weiter optimierten System loslegen können, wollen wir möglichst alle 1.000 BNK-Mitglieder einbeziehen und in dem Register über 50.000 Behandlungsverläufe dokumentieren.“

Eine so breit angelegte Versorgungsforschung mit Real-Life-Daten sei in Deutschland bisher einzigartig und gebe es auch in keinem anderen Medizinbereich. Deshalb ist bereits die Ausweitung der flächendeckenden Dokumentation auf weitere Krankheitsbilder geplant – von Herzrhythmusstörungen bis zum Bluthochdruck. Und natürlich kann diese Weblösung für das medizinische Qualitätsmanagement und die Versorgungsforschung auch relativ einfach auf andere Bereiche der Medizin übertragen werden.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
Nach oben scrollen