Strategic Sourcing im Gesundheitswesen

In den vergangenen Jahren hat kaufmännisches Einkaufen im Gesundheitswesen nur eine begrenzte Rolle gespielt. Das scheint sich momentan grundlegend zu ändern, denn basierend auf den gesetzlichen Änderungen der letzten Jahre und Monate bekommt der Einkauf, neudeutsch das „Sourcing“, für die Akteure im Gesundheitswesen und die anderen Beteiligten eine ganz neue Bedeutung.

„Der Kaufmann macht seinen Gewinn beim Einkauf“ – diese alte Kaufmannsweisheit wird zunehmend Realität im Gesundheitswesen

Es ist davon auszugehen, dass zukünftig nicht nur die Krankenhäuser Sachmittel über professionelle Strukturen erwerben werden, sondern auch Kassen neben Arzneimitteln und anderen Sachgütern, z. B. Hilfsmittel, zunehmend ganze Therapien systematisch strategisch einkaufen, eben „sourcen“ werden. Und man sollte den Patienten nicht unterschätzen, der sich zunehmend seiner Souveränität bewusst wird. Auch Patienten werden nicht nur in der Zahnmedizin, sondern auch in anderen Disziplinen die vielfältigen Möglichkeiten nutzen, sich vom Empfänger zum Einkäufer medizinischer Leistungen zu entwickeln.

Sicherlich ist man im Gesundheitswesen noch meilenweit von dem heute sehr professionellen Einkauf in produzierenden Industrien entfernt. Der Fairness wegen muss man aber hinzufügen, dass die Entwicklung in der Industrie auch mehrere Jahre gedauert hat. Heutzutage erstreckt sich modernes „Sourcing“ über mehrere Ebenen. Diese unterschiedlichen Ebenen findet man schon heute bei einigen Krankenhäusern, von einer flächendeckenden Anwendung ist man jedoch noch weit entfernt. Man tut sich in der Regel schwer bei der Formulierung von einheitlichen Beschaffungsstrategien und hat in vielen Fällen auch die Beschaffungsprozesse noch nicht identifiziert. Dazu kommt, dass die Infrastruktur, z. B. IT und Controlling, noch lange nicht industriellen Benchmarks entsprechen. Das ist der Grund, warum die im System steckenden Potenziale noch nicht gehoben werden konnten. Die Qualifizierung vieler Mitarbeiter in den Einkaufsdepartments muss außerdem noch dem Industrieniveau angepasst werden.

Im Krankenhaussektor wurde die Notwendigkeit eines professionellen Einkaufs bereits rechtzeitig erkannt. In größeren Krankhäusern wird der Einkauf in Anlehnung an die Industrie zunehmend professionalisiert. Doch bis heute sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Häusern extrem hoch. Nur wenn wichtige Verträge, Preise und Konditionen dem Einkauf auch zur Verfügung gestellt werden, lässt sich das Potenzial heben. Auch die Hinterlegung der Prozesse in modernen IT-Systemen würde es sowohl für die Zulieferer, als auch für Bedarfsträger ermöglichen, entsprechende Vorteile zu generieren.

Trotz hohem Technisierungsgrad im Krankhauses werden bei der Beschaffung noch immer traditionelle Wege beschritten. Dieses ist umso erstaunlicher, da im Zuge des Internet-Hypes vor sechs, sieben Jahren circa 14 Krankenhaus-Einkaufsplattformen ihr Glück am Markt versucht haben. Aktuell sind nur noch zwei Wettbewerber am Markt tätig. Obwohl der Nutzen beim Gebrauch solcher Tools sich schnell erkennen lässt, ist die Verbreitung auch heute noch sehr gering. Gründe hierfür könnten in der teilweise komplizierten Installation oder aber in der eher nicht gewünschten Transparenz liegen, die solche Tools unweigerlich mit sich bringen würden.

Nicht nur Online-Kataloge werden selten genutzt, sondern auch e-Auktionen, die heute den Einkäufern im produzierenden Gewerbe sehr geläufig sind. Der Vorteil von e-Auktionen ist vor allem die Prozessoptimierung beim Kunden wie auch beim Hersteller. Der Gewinn an Zeit und damit die Beschleunigung von aufwändigen Verhandlungen trägt wesentlich zur Optimierung bei. Um dieses Instrument erfolgreich einzusetzen, muss das Produkt oder die Dienstleistung klar spezifiziert und in einem transparenten Katalog hinterlegt werden. Bei diesem Prozess treten öfters Schwierigkeiten auf, da aus historischen Gründen viele Krankhäuser gleiche Produkte unterschiedlich katalogisiert haben. Papierlose Kommunikation zwischen Herstellern und dem Bedarfsträger/Einkäufer ist nur dann zu realisieren, wenn die IT-Systeme wiederkehrende Geschäftsvorfälle (Bestellung, Lieferavis, Lieferschein, Rechnung, etc.) elektronisch abwickeln. Eine solche elektronische Vernetzung strukturiert den Einkaufsprozess und entlastet auch die Einkaufabteilungen. Das Zurückgreifen auf einheitliche Stammdaten trägt dazu bei, dass kostspielige Fehler vermieden werden. Auch im Krankenhaus rechnet sich also der Einsatz von elektronischen Tools zur Beschaffung, wenn Sie konsequent eingesetzt werden.

In den anderen Bereichen des Gesundheitswesens verhinderten die meist einheitlich und gemeinsam abgeschlossenen Verträge, dass dem Individuum oder dem einzelnen Kostenträger Transparenz ermöglicht wurde. Weil keine gemeinsame IT-Infrastruktur existiert, konnten viele individuelle Verträge nicht umgesetzt werden.

Einheitlich und gemeinsam war gestern, mit dem WSG kann es heute theoretisch zu einer unbegrenzten Anzahl von Verträgen kommen. War das Vertragsgeschäft in der Vergangenheit eher vom Grundsatz der Gemeinsamkeit geprägt, so wird sich dieses in naher Zukunft grundlegend ändern, weil die Ökonomie zunehmend in den Vordergrund rücken wird.

Wie schon erwähnt, stehen derzeit bei den Krankenkassen noch die kollektiv-vertraglichen Lösungen im Vordergrund. Durch die Reformen der vergangenen zwei Jahre, zum Beispiel das GMG, das AVWG und nun auch das WSG, wurde der Paradigmenwechsel eingeleitet. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass morgen alle Leistungsarten nur noch „gesourct“ werden. Auch zukünftig wird der überwiegende Teil der Leistungsausgaben durch kollektiv-vertragliche Lösungen abgedeckt werden. Die Möglichkeiten des WSG, die es der einzelnen Kasse erlauben, individuelle Verträge mit Industrie oder den medizinischen Dienstleistern abzuschließen, sind als interessante Gestaltungsmöglichkeiten zu betrachten. Statt einheitlich und gemeinsam wird zukünftig in einigen Leistungsarten individualisiert eingekauft werden. Es gibt dann Einkaufsgespräche an Stelle von SGB-V-Verhandlungen.

Doch jeder Vertrag ist nur dann gut, wenn er gelebt wird. Das bedeutet, dass diese Vereinbarungen kommuniziert und entsprechendem Controlling unterzogen werden müssen. Nur so lässt sich Vertragscompliance erreichen. Aufgrund der mangelnden Vernetzung im Gesundheitswesen besteht die größte Gefahr darin, dass Verträge nicht im Sinne der Vertragspartner umgesetzt werden und die jetzt vom Gesetzgeber vor gedachten Elemente mit dem Ziel leichter Einkaufsmodelle nicht realisiert werden. Ohne eine einheitliche IT-Infrastruktur im Gesundheitswesen wird es schwer möglich sein, alle Informationen den entsprechenden Stakeholdern zur rechten Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. Um zukünftig als Kasse erfolgreich zu sein, müssen die gleichen Strukturen und Prozesse entwickelt und aufgebaut werden wie in der Industrie, die diesen Prozess in den letzten Jahren durchlaufen hat. Auch in der Industrie stand zu Beginn nur der einzelne Stückpreis im Vordergrund. Dies hat sich in den letzten Jahren gewandelt, sodass auch die Qualität gesteigert werden konnte.
Der Patient ist auf dem besten Wege, sein Verhalten zu ändern und auch im Gesundheitsbereich bewusster Entscheidungen zu treffen. Getrieben von den kontinuierlichen Beitragssatzerhöhungen der letzten Jahre und der Zunahme der Zuzahlungen entwickelt der Patient, wie vom Gesetzgeber gewünscht, ein zunehmendes Preisbewusstsein. Die Akzeptanz von so genannten Internetapotheken und die zurzeit wieder zunehmende Wechselbereitschaft der Patienten hinsichtlich ihrer Krankenkasse aufgrund von Beitragssatzanpassungen sind Zeugnis für das zunehmende kaufmännische Verhalten der Patienten. Dieser Trend ist auch im Ausland zu beobachten – wie aktuelle Beispiele aus den Niederlanden zeigen. Man muss davon ausgehen, dass der Trend sich auch zukünftig fortsetzen wird. Die Kassen werden bestrebt sein, diese Interessen für ihre Mitglieder zu bündeln. Doch man muss auch davon ausgehen, dass einige Patienten selber für sich sorgen werden oder „sourcen“ wollen.

Dieses lässt sich aber nur realisieren, wenn eine entsprechende Informationsplattform zur Verfügung steht, auf die alle Beteiligten im Gesundheitswesen, „barrierefrei“ zugreifen können. Das WSG wird in seinen Grundzügen die einzelvertraglichen Möglichkeiten nur dann erfolgreich realisieren lassen, wenn eine einheitliche Telematik-Plattform vorhanden ist. Da theoretisch eine unbegrenzte Zahl von vertraglichen Konstellationen möglich ist, wird es von vornherein zwingend sein, ein leistungsfähiges elektronisches Informationssystem zur Verfügung zu haben.

In der alten Gesundheitswelt erschien eine Telematik-Plattform für einige der Stakeholder vielleicht noch nicht als wirtschaftlich. Dieses kann sich, begünstigt durch die Opportunitäten des WSG, grundlegend ändern. Grundvoraussetzung muss jedoch sein, dass alle Beteiligten im Gesundheitswesen einen gleichberechtigten Zugang zu dieser IT-Plattform haben werden. Wie im Krankenhaus heute im Kleinen erste Erfolge durch e-Procurement zu verzeichnen sind, so werden sich im gesamten System erst Erfolge einstellen, wenn die Vernetzung weiter vorangeschritten ist.

Eines steht jedoch fest: Neben dem primären Gesundheitsgewinn steht beim Versicherten zukünftig auch der materielle Gewinn mit im Vordergrund.

Erschienen in: Jahrbuch Gesundheitswirtschaft 2007 – Prozessoptimierung, eHealth und Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen“, Wegweiser GmbH Berlin, 2007.

Dieser Artikel erschien am und wurde am aktualisiert.
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