Die zweite Generation der MVNOs

Weltweit gibt es heute über 250 Mobile Virtual Network Operator (MVNO), die sich damit als zweite Anbietergruppe von Mobilfunkdiensten fest im Markt etabliert haben. Verfolgte die erste Generation der MVNOs noch die Strategie der Kostenführerschaft, setzen MVNOs der zweiten Generation wie Helio, Ampd oder Disney Mobile auf Differenzierung, um gezielt High-ARPU Marktsegmente zu adressieren. Noch einen Schritt weiter gehen der geplante MVNO Blyk, der über teils werbefinanzierte Dienste das bestehende Geschäftsmodell grundsätzlich in Frage stellt, oder Senopia, eine Art Mobile Virtual Network Enabler (MVNE) für Endkunden. Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen langfristig auf die Marktstruktur und den Wettbewerb im Mobilfunk? Mobile Network Operator (MNO) brauchen konkrete Handlungsempfehlungen, um die eigene Wettbewerbsposition abzusichern.

MVNOs der ersten Generation setzen zur Umsetzung ihrer Strategie auf schlanke Geschäftsstrukturen und Prozesse und nutzen das Internet als kostengünstigen Absatzkanal. Prepaid-Produkte dominieren und bei den Diensten beschränken sich die Anbieter auf die Erbringung von Sprach- und Messagingdiensten. Von den Grundprinzipien her ist das Geschäftsmodell vergleichbar mit den sogenannten Billigfliegern – deswegen auch die Bezeichnung ’Low-Frills MVNOs’.

Dass dieses Geschäftsmodell erfolgreich funktioniern, zeigt sich in den Marktanteilsentwicklungen. In Dänemark haben MVNOs einen Marktanteil von 25%, in den USA 9% und in Deutschland von 5% (Stand Ende 2006). Weltweit haben MVNOs in 2006 einen Umsatz von 15.4 Milliarden US Dollar erwirtschaftet. Gemäß einer Studie von Jupiterresearch soll der Umsatz bis zum Jahr 2012 auf 67,4 Milliarden US Dollar und die Anzahl der Subscriber von heute 93 Millionen (3,5% der gesamten Mobilfunk Subscriber weltweit) auf 352 Millionen (7,3%) ansteigen.

MVNOs der zweiten Generation setzen auf eine Differenzierungsstrategie, wobei sich die Anbieter dabei nicht nur auf die drei Wettbewerbsparameter Marke, Tarif-Plan und Absatzkanal beschränken. MVNOs wie Ampd, Boostmobile, Helio, Kajeet oder Disney Mobile bauen komplette Produkt und Diensteportfolios von A bis Z auf, um sich nachhaltig von den MNOs zu differenzieren.

MVNOs wie Ampd oder Boostmobile produzieren eigene, exklusive zielgruppengerechte Multimedia-Inhalte und setzen nicht einfach nur auf Lizenzierung. Bei den Diensten fokussieren sich die MVNOs verstärkt auf mobile Datenund Mehrwertdienste. Helio kooperiert zum Beispiel mit der Social Network-Plattform ‚Myspace’, Boostmobile kooperiert mit Loopt, einem ortsbezogenen mobilen Dienst. Die Idee hinter dieser Art von Kooperation ist die Erweiterung von populären Internet-Plattformen um eine angepasste mobile Komponente.

Die Differenzierung setzt sich fort mit eigenen Kundenloyalitätsprogrammen, maßgeschneiderten Kommunikationskonzepten (above & below the line), über Konzept-Stores bis hin zur Entwicklung eigener mobiler Endgeräte, sogenannter Operator Phones. Der MVNO Helio hat zum Beispiel mit dem Helio Ocean ein eigenes Mobiltelefon mit erweiterbaren Betriebssystem (sogenanntes Smartphone) entwickelt, das vom innovativen 2-Wege-Slider Design, der graphischen Benutzeroberfläche bis hin zu den technischen Funktionalitäten wie dem Global Positioning System Modul und der Fähigkeit, Multimedia- Inhalte aufzunehemen und abzuspielen, exakt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt ist. MVNOs, die nicht das Risiko der Hardware-Entwicklung tragen wollen, setzen auf die Anpassung der Software, die auf dem Endgerät vorinstalliert ist. Dazu zählen angepasste grafische Benutzeroberflächen sowie sogenannte On Device Portals (ODP).

MVNO 1.0 vs. MVNO 2.0

In der Gegenüberstellung der verschiedenen Geschäftsmodellansätze und Strategien werden die Unterschiede zwischen der erstem und der zweiten MVNO-Generation deutlich.

Die durchgängige Differenzierung der Nutzererfahrung sichert einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil gegenüber den MNOs, die aus der Endkundensicht tendenziell eher als Massenmarkt-Anbieter wahrgenommen werden.

Weitere Beispiele für die MVNOs der zweiten Generation sind Voce, eine Art Luxus–MVNO, der auf Exklusivität für eine zahlungskräftige Kundschaft setzt, oder Sotto Wireless, einer der ersten MVNOs im Marktsegment ‚Small and Medium Size Enterprises’. Die nächste Gruppe der MVNOs 2.0 werden Festnetz- und Kabelnetzbetreiber sein, die auf konvergente Endprodukte für die Realisierung von Quadruple Play-Angeboten setzen.

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Da mobile Daten- und Mehrwertdienste ein wesentliches Differenzierungskriterium für MVNOs der zweiten Generation darstellen und der Anteil der Daten ARPU für MVNOs wie Helio oder Ampd bei über 25% liegt (im Vergleich dazu: die durchschnittliche Daten ARPU bei MNOs liegt bei ca. 15%), erscheint eine genauere Betrachtung für sinnvoll. Der Vollständigkeit halber werden in diese Betrachtung Sprachdienste mit einbezogen, da die IP-basierte Datenübertragung die Erbringung von Sprachdiensten mittels Voice over IP (VoIP) ermöglicht.

Prinzipiell gibt es zwei Arten von Anbietern in dieser Kategorie. Um Dienste des Low-Cost-Routing nutzen zu können, muss der Nutzer eine Kundenanwendung auf seinem Endgerät installieren, oder er kann den Browser benutzen, um dem Server des Anbieters zu signalisieren, zwischen welchen beiden Telefonnummern (Originierung und Terminierung) ein Gespräch aufgebaut werden soll. Die Anbieter nutzen für die Originierung und Terminierung eines Gespräches weiterhin einen ganz normalen nationalen Voice Call. Für die Übertragung wird das Gespräch kostengünstig über das Internet transportiert.

Im Fall der Mobile VoIP ist die Installation einer Kundenanwendung erforderlich, da der Kunde die Rolle eines VoIPKunden übernimmt. Das Gespräch wird als VoIP-Telefonat über die Datenverbindung – GPRS, 3G oder WiFi – geführt.

Anbieter wie Eqo oder Fring beschränken sich jedoch nicht nur auf die Erbringung von Sprachdiensten. Ihre Kundenanwendungen sind angereichert um Instant Messaging und Presence-Funktionalitäten, inklusive der Unterstützung für bestehende Instant Messaging-Netze MSN, Skype oder Jabber, und liefern somit einen weiteren Mehrwert für den Nutzer.

Mobile Nachrichtendienste 2.0

Nachrichtendienste wie SMS und MMS werden als Unterkategorie der Datendienste eingestuft. Ihr Anteil am DatenARPU ist erheblich. Grundsätzlich lassen sich zwei Kategorien von Diensten unterscheiden: Hinter der Idee des Group Text Messaging steht der Versand von Textnachrichten an Gruppen von Nutzern, entweder von einer Web-Anwendung oder ganz normal über das Mobiltelefon. Bei diesen Diensten erfolgt der Versand der Nachrichten weiterhin über SMS beziehungsweise MMS. Im Falle einer Instant Messaging muss der Nutzer eine Kundenanwendung auf seinem Endgerät installieren, um über die Datenverbindung Nachrichten mittels IPbasierten Anwendungen auszutauschen.

Mobile Mehrwertdienste 2.0

Bei den Mehrwertdiensten gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Kategorien von neuen Diensten für mobile Endgeräte. Die Endgeräte sind aufgrund ihrer zunehmenden Leistungsfähigkeit die Enabler für neue Mobile-Dienste wie Geo-Tagging (Mobiltelefone mit eingebautem GPS-Modul), BarCode Scanning (Mobiltelefone mit Kamera) oder Content Sharing (Rich-Media Capabilities), um nur einige zu nennen.

Das Geschäftsmodell der MNOs und MVNOs

Die etablierten Mobilfunknetzbetreiber übernehmen im MVNO-Geschäftsmodell die Rolle des Wholesale-Anbieters. Sie verkaufen Netzüberkapazitäten (Airtime) an die MVNOs und partizipieren damit an der Wertschöpfung. Wie sich in vielen Märkten gezeigt hat, können sich Netzbetreiber langfristig nur sehr schwer dem Wholesale verschließen, da sie entweder regulatorisch zum Wholesale gezwungen werden oder es aus strategischer Sicht für einen MNO profitabel sein kann, MVNOs auf sein Netz zu lassen.

E-Plus Deutschland (MNO) liefert ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Wholesale-Strategie. Bedingt durch die relativ schwache Eigenmarke und die hohen Kosten für die 3G-Lizenzen sowie den Netzausbau war E-Plus gezwungen, die eigene Wachstumsstrategie zu überdenken. Das Ergebnis ist die Abkehr von einem vertikalen Geschäftsmodell hin zu einem horizontalen Geschäftsmodell. Der Netzbetrieb wurde ausgelagert, die Marktbearbeitung übernehmen nun elf Branded Reseller. Die Marke E-Plus ist geblieben, wobei die Kernaufgabe für das Unternehmen E-Plus nun im Markenmanagement besteht.

Das Risiko der eigenen Kannibalisierung durch den Weiterkauf gilt bei der ersten MVNO-Generation als kalkulierbar. Zwar sind die Low-Frills MVNOs im wesentlichen für den massiven Preisverfall der letzten Jahre im Mobilfunk verantwortlich, jedoch übernehmen die Billiganbieter auch eine Aufgabe, die die MNOs selbst nicht wahrnehmen (können), sie bedienen nämlich das untere Ende des Marktes – profitabel. Auch dürfte das Marktpotenzial für die Billiganbieter insgesamt begrenzt sein, da für die Mehrheit der Nachfrager die subventionierten Endgeräte ein zentrales Kaufentscheidungskriterium darstellen.

Herausforderungen für MNOs

Das Marktpotenzial für MVNOs der zweiten Generation zeigt sich am durchschnittlichen Umsatz pro Nutzer (ARPU) von über 100 US Dollar im Monat für Helio und Ampd, die damit mehr als doppelt soviel an Umsatz je Subscriber generieren wie der Marktdurchschnitt von 54 US-Dollar. Dennoch müssen diese MVNOs erst noch beweisen, dass ihr kapitalintensives Geschäftsmodell auch langfristig profitabel sein wird. Der gescheiterte MVNO ESPN Mobile ist ein prominentes Beispiel dafür, dass ein MVNO selbst mit einem starken (Content) Partner, nicht zwangsläufig erfolgreich ist.

Das Bedrohungspotenzial ist für die etablierten Netzbetreiber im Erfolgsfall der MVNO 2.0-Generation jedoch erheblich höher. Schließlich konkurriert diese Generation von MVNOs nicht am unteren Ende des Marktes, sondern gemeinsam mit den MNOs, um attraktive Kunden mit hohem ARPU.

In Bezug auf mobile Dienste stellt sich die Situation für die Netzbetreiber ebenfalls problematisch dar: Auf der einen Seite können MNOs durch eine attraktive Preisgestaltung die Nutzung von Datendiensten stimulieren, auf der anderen Seite laufen sie jedoch gleichzeitig Gefahr, dass IP-basierte Anwendungen wie Mobile VoIP oder Instant Messaging das Einfallstor für die Dienste-Substitution sind.

Der Anteil der Sprachdienste am Gesamtumsatz eines MNOs liegt im Durchschnitt bei etwa 85%. Entsprechend groß ist das Bedrohungspotenzial, welches von den Mobile Voice Service Providern ausgeht. Dass Mobile VoIP Service Provider bereits heute als potenzielle „Minute Stealer“ eine durchaus ernsthafte Gefahr aus Sicht der Netzbetreiber darstellen, zeigt sich in der Tatsache, dass sowohl Orange als auch Vodafone UK bereits eigene Endgeräte so modifiziert haben, dass sich Anwendungen wie zum Beispiel Truphone nicht mehr nutzen lassen. Die Netzbetreiber nutzten hier ihre dominante Stellung als Zugangsanbieter aus, um Diensteanbieter, die auf einer höheren (Netz-)Wertschöpfungsebene agieren, zu blockieren.

Auch bei den Instant Messaging-Diensten sehen MNOs eine konkrete Gefahr für das eigene Geschäft. Dies belegt die Ankündigung von Acht der größten Netz-Operatoren – China Mobile, Orange, Telefonica, TeliaSonera, TIM, T-Mobile, Turkcell und Vodafone – auf der GSM Konferenz 2006 in Barcelona, einen eigenen global kompatiblen Instant Messaging- Dienst zu erschaffen.

Festzuhalten bleibt, das MNOs langfristig nicht ein ähnliches Schicksal wie die Festnetzbetreiber erleiden wollen. Diese haben nämlich einen erheblichen Teil ihrer Wertschöpfung an die Dienstanbieter abgegeben müssen und stehen nun im direkten Preiswettbewerb als Commodity-Anbieter für den Zugang („Dumb bit pipe“).

Empfehlungen für MNOs

Vor dem Hintergrund der zuvor beschrieben Herausforderungen sollten Netzbetreiber handeln und konkrete Maßnahmen ergreifen. Die Kundensegmentierungsstrategie ist noch wesentlich stärker und vor allem konsequenter an den Kundenbedürfnissen auszurichten. Es geht um den Übergang von der horizontalen Marktbearbeitung „One Size fits all“ auf eine vertikale, segmentspezifische Ausgestaltung des Angebotes. Beispiele für differenzierte Segment-Angebote sind neben den genannten MVNOs, Vodafone Simply, T-Mobile Sidekick oder 3UK X-Series.

Gemäß dem Motto „If you cannot beat them, join them“ sollten MNOs prüfen, ob ein MVNO nicht möglicherweise besser positioniert ist, um ein bestimmtes Marktsegment profitabel zu bedienen, und daher als potentieller Wholesale-Partner oder gar als Akquisitionsziel in Betracht zu ziehen ist (Wholesale Strategy).

Der Aufbau eines Innovationsradars im Rahmen des Innovationsmanagements ist notwendig, um bereits frühzeitig das Potenzial und die möglichen Gefahren zu identifizieren, die von neuen mobilen Diensten, zum Beispiel Group Text Messaging, und Geschäftsmodellen wie mobiler Werbung ausgehen. Welche Dienste sind bereits über die Phase der frühen Innovationsübernehmer (Early Adaptor) hinaus und zu welchen Veränderungen führen diese neuen Technologien? Eine solche kontinuierliche Marktbeobachtung kann zu einem Wettbewerbsvorteil führen, wenn es beispielsweise gelingt, exklusive Partnerschaften mit Diensteanbietern abzuschließen.

Kooperationen mit Anbietern von Community-orientierten Plattformen und Multimedia-Diensten (Mobile Service 2.0 Providers) können zu einem bedeutenden Differenzierungskriterium im Wettbewerb werden. Dabei gilt es jedoch zwingend, die Limitierungen der mobilen Endgeräte bezüglich der Ein- und Ausgabe zu berücksichtigen. Ebenso muss ein Dienst für den mobilen Nutzungskontext optimiert sein. Die einfache eins-zu-eins-Umsetzung vom stationären PC auf das Mobiltelefon wird keinen Erfolg haben. Beispiele für Kooperationen zwischen Mobile Service Provider und populären Internet-Plattformen sind Virgin Mobile USA mit Facebook, Vodafone mit MySpace oder Orange UK mit Beboo.

Netzbetreiber sollten die Rolle des Vermittlers, also eine Art Aggregationsfunktion für mobile Dienste und Inhalte übernehmen. Dem Nutzer kann auf diese Weise eine breit gefächerte Auswahl an Diensten und Inhalten zur Verfügung gestellt werden, aus dem sich der Kunde ohne Installations- und Konfigurationsaufwand ein Portfolio gemäß den eigenen Bedürfnissen zusammen stellt. Ein konkretes Anwendungsbeispiel sind ODPs als primäre Benutzerschnittstelle auf dem Endgerät, um Inhalte und Dienste unter einer gemeinsamen Oberfläche zusammenzufassen. Netzbetreiber sollten ebenfalls technische Integrationsmöglichkeiten für Diensteanbieter schaffen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Schnittstellen zum Billing-System für die einheitliche Abrechung oder für Kundennutzerdaten zur semantischen Anreicherung von Diensten. Über solche innovativen Ansätze kann sichergestellt werden, das MNOs an der Wertschöpfung auf der Dienstebene partizipieren. Und auch wenn es kurzfristig keine Carrier-Class-Dienstgüte auf bei VoIP-basierten Sprachdiensten geben wird, müssen MNOs dennoch die Preisgestaltung von Sprachdiensten anpassen, um der Substitution keinen Vorschub zu leisten. Parallel sollten Carrier nach Kooperationsmöglichkeiten mit VoIP-Anbietern wie Skype oder Google Talk suchen, um den Endkunden einen Mehrwert durch integrierte Sprach- und Nachrichtendienste zu geben.

Sind MVNO 2.0 und Mobile Service 2.0 heute noch primär ein Thema für Netzbetreiber in entwickelten Märkten, so werden diese Themen in zwei bis drei Jahren ebenfalls von Interesse für Netzbetreiber in zu entwickelnden Märkten sein.

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